Was denkt man in den vielleicht letzten Stunden seines Lebens?

Was geht in einem Menschen vor, der davon ausgehen muß, daß er gerade die letzten Stunden seines Lebens erlebt?

Ehrlich gesagt: nicht so hochtrabende Gedanken, wie man sie in der Theorie antizipiert.

Schließlich sitzt man nicht alleine an einem See, sondern wird vorbereitet: eine opulente Metzgerin Krankenschwester zerrte mich ins Badezimmer und arbeitete sich fluchend mit der Haarschneidemaschine bis auf meine Kopfhaut vor.
Danach im zwei Minuten-Takt weitere Ärzte und Schwestern, die etwas mitteilen oder untersuchen.

So vergehen die vermutlich letzten Stunden des Lebens mit Verwaltung und Fummelei am bis dato eigenen Körper und bereiten einen unwissenderweise auf die Zeit vor, die kommt, falls man überlebt.

“Zu 80% wären Sie auch bei mir auf dem Tisch geblieben”, informierte mich mein überragender Operateur stolz, als ich nach künstlichem Koma und Tagen “auf Intensiv” schmerzmittelbedöst wieder in meinem normalen Krankenbett lag.

Warum ich Euch dies gerade jetzt so ungefiltert erzähle?

Nach sieben Tagen, die ich nun mal wieder mit heftigsten Trigeminusschmerzen und Schüben meiner unheilbaren Mastzellerkrankung fast durchgehend im Bett verbrachte, gelang es mir erstmals wieder, mich anzuziehen und den täglichen Kampf mit Formularen und Widersprüchen aufzunehmen.
Dabei fiel mein Blick auf den Kalender.

27. August.
Das sagte mir was.
Und dann rammte mich die Erkenntnis.

Heute ist der 17. Geburtstag meines zweiten Lebens.

Das Foto entstand am Abend vor einer Operation, die zwölf Stunden dauern und mit zehn Ärzten ausgeführt werden sollte.

Ich würde überleben.

Ich würde Wochen fast regungslos wie ein überfahrener Käfer mit diversen Schläuchen im Körper im Krankenbett liegen und an die Decke starren.

Ich würde lernen, daß Schmerzen so heftig und kontinuierlich sein können, daß man sich nur noch wünscht, zu sterben

Ich würde wieder trainieren müssen, vernünftig zu laufen, zu greifen, zu essen und zu sprechen.

Und ich würde nicht wissen, daß all dies nur der Anfang sein wird von einer endlosen medizinischen Wegstrecke.

Und weil ich mit 17 mitten in der Pubertät stecke, gönne ich mir jetzt, dem Stapel  Formulare für heute mal gepflegt den Mittelfinger zu zeigen und spazierenzugehen..