Warum ich vor wenigen Tagen mein Zuhause aufgab und ein Experiment mit offenem Ende startete

Ich nehme jeden Freitag als Eichhörnchen verkleidet an Gangbang-Parties teil.

Augenbrauen oben?
Dann hast Du jetzt ungefähr den Gesichtsausdruck, der mir in den letzten Wochen täglich bei einer viel harmloseren Aussage entgegenblickte.

Aber der Reihe nach.

Es ist so viel passiert, daß ich Bücher füllen könnte.

Dafür bin ich aber dummerweise zu ausgeknockt.
Nun hatte ich ja vor einigen Wochen kurzfristig meine Wohnung gekündigt, um endlich einen Schritt in ein für mich weniger quälendes Klima zu starten.
Die Zeit, in der es mir wegen ständiger Wetterwechsel und durch die Sommerhitze der Düsseldorfer Tropen unendlich mies ging, wurde von Jahr zu Jahr länger. Am Ende hätte ich von April bis Ende September woanders leben müssen. Nur Stockholm konnte ich nicht entsprechend verlängern. Dafür fehlte mir der Lotto-Gewinn.

Nun habe ich nie Lotto gespielt. Und als chronisch Kranke ist das schwedische Gesundheitssystem auch nicht gerade der Brüller. Besser als Indien. Aber wer aus Deutschland kommt, überlegt es sich zweimal, komplett dort hinein zu wechseln. Es gibt genug Originalschweden, die alles Geld der Welt in die Hand nehmen, um sich in Deutschland behandeln zu lassen. Sie wissen, warum.

Also habe ich begonnen, mich mit der Kompromißlösung Norddeutschland anzufreunden. Ein wenig absurd ist das Ganze natürlich schon: in Düsseldorf umgeben mich tolle Freunde und mir vertraute, gute Ärzte. In Stockholm genieße ich ebenfalls seit Jahren ein schönes Sozialleben und kenne jeden einzelnen Pflasterstein mit Namen.

Und dann gebe ich alles auf für eine Stadt, in die mich emotional bisher nicht viel zieht?

Aber egal: ein Cut mußte her.
Nur wie bewältigt man einen Umzug, wenn man schon im ganz normalen pieseligen Alltag viel Hilfe braucht?
Mit sehr engagierten Freunden und Nachbarn.
Sehr, sehr engagierten Freunden und Nachbarn.
Dazu später nochmal in aller Form.

Während ich mich also wochenlang durch unendlich viele Listen quälte, um alles mit dem geringsten Reibungswiderstand organisiert zu bekommen, brach um mich herum zunehmend Panik aus.

Das ist normalerweise mein Job. Ich bin sonst die Panikerin. Ich bin diejenige, die in Sekunden 45 Schritte voraus denkt und alle Fallstricke bildlich vor sich sieht. “Frau E., wir brauchen hier keine Bedenkenträgerin”, ermahnte mich mein erster Chef. Ich hatte angemerkt, warum das Projekt gegen die Wand fahren könnte. Dann fuhr das Projekt gegen die Wand. Genau so. Ich bemühte mich trotzdem, meine Visionen künftig für mich zu behalten.

In meiner jetzigen Lebensphase möchte ich neue Wege ausprobieren. Energie sparen. Schauen, ob wirklich immer alles so gut vorbereitet werden muß, wie ich das seit Jahrzehnten praktiziere. Andere Leute leben doch auch. Und viel weniger angespannt, als ich.
Kaum hatte ich beschlossen, dem Leben Raum zu geben, auf mich zuzukommen, schwappte meine ungenutzte Panikenergie auf meine Umgebung über.
Als hätte ich nicht genug am Wickel, mußte ich in den letzten Wochen täglich gefühlt einer Busladung netter Menschen Rede und Antwort stehen.

Warum?

Weil ich beschlossen hatte, endlich einmal nur auf meinen Bauch zu hören.

Und der schrie schrill: Ich WILL keinen neuen Mietvertrag. Ich WILL mich nicht schon wieder bombenfest an einen Ort binden. Ich WILL nicht mehr festgetackert sein an Möbel, Miete und Moneten. Dabei lag er auf meinem Laminatboden und strampelte mit den Beinen in der Luft.

Zu Beginn beruhigte ich ihn noch und versprach, mich erst mal nur um eine Übergangswohnung in Hamburg zu kümmern.
Er schien besänftigt.
Dann plärrte er wieder los.
Ne, eine Übergangswohnung wolle er auch nicht.

Nun hatte ich wenig Zeit, mich mit dem Nervenbündel auf meinem Laminat auseinanderzusetzen. Und ehrlich gesagt auch keine Lust. Denn ich fühlte, daß eine Lösung kommen wird.
Die Zeit lief. Das Self Storage-Lager in Düsseldorf war gebucht.
Wenn nur diese täglichen Gespräche nicht gewesen wären!

Wo ziehen Sie denn jetzt hin?
Ich weiß es nicht.
Wie? Sie wissen es nicht?
Ich weiß es nicht.
Aber Sie müssen doch irgendwo wohnen.
Werde ich auch. Nur wo, weiß ich noch nicht.
Ja, aber das geht doch nicht.
Warum denn nicht?
Ja, öh….Man muß dort irgendwo wohnen.

Ne, muß man nicht. Man kann auch herumziehen mit Airbnb und Konsorten.
Öh ja…aber.. in Ihrem Zustand.
Das ist in der Tat riskant. Andererseits werde ich ja nur zwei Koffer dabei haben. Und ein Bett, in dem ich vor mich hin dämmere, gibt es immer irgendwo.

Schweigen.
Man wird viel Botox brauchen, um all die Falten, die durch mich entstanden sind, wieder auszubügeln.

Das Entsetzens-Stakkato legte von Tag zu Tag einen Zahn zu. 
Aber, Pia, es ist doch schon der 10.!
Der 14.!!!!!
Der 16.!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Korrekt.
Du mußt doch wissen, wo Du nach der Wohnungsübergabe am 18. Juli schläfst?
Ich habe ein Auto und eine Kreditkarte.

Krankheitsbedingt ist jede Minute meines Tages fremdbestimmt. Ich kann absolut nix so durchziehen, wie ich das will. Und wenn, nur stundenweise. Massiv gedopt. Mit heftigen Entzugserscheinungen am nächsten Tag.

Klassisch Reisen geht schon lange nicht mehr. So wie früher über sämtliche Kontinente erst recht nicht. Aber Umziehen geht. Mit kleinem Gepäck. Schöner liegen on tour.

Warum also nicht aus dem Umziehen eine Art Reise machen?