Stockholm Station 5: Guten Morgen, liebe Sorgen, guten Morgen, Sonnenschein.

Kann man schöner geweckt werden? Vor allem als Migräniker?
Kaum.

Ich stand kurz davor, aus dem Fenster zu hopsen. Als der Lärm am Vortag begann, war ich nämlich irgendwann aus meiner Türe gestapft und hatte die leicht aufzufindenen Handwerker konsultiert. Wie lange sie denn so laute Arbeiten zu verrichten hätten?
Bis Dezember.
Ne, ne, sagte ich. Kann ja mal was schiefgehen, wenn zwei Ausländer auf Schwedisch miteinander kommunizieren.
Wann ist dieser Baulärm zuende?
Im Dezember.

Kollaps.

Das kann doch nicht… Doch. Konnte es: im Erdgeschoß hing zwischen den Ankündigungen der Hausverwaltung ein freundliches Schreiben, daß beide Fahrstühle ausgetauscht würden. Es KÖNNE zu Lärmbelästigung kommen. Amüsanter Konjunktiv. Könne. Wenn man auf 14 Etagen nacheinander zwei Schächte entkernt..

Wenn ich mir ins Ohr schieße, höre ich das nicht mehr. Sonst schon. Und da ich nicht in eine Wohngemeinschaft Tauber gezogen war, KÖNNTE es wohl von einigen gehört werden.

Sofort notierte ich auf meiner Smartphone-Checkliste für Wohnungsbesichtigungen einen neuen Punkt: alle Nachrichten der Hausverwaltung am Schwarzen Brett eingehend studieren.
Ob meine Vermieterin nur deshalb aus ihrer Wohnung auszog, werde ich nie erfahren. So richtig lieb hatte ich sie ab diesem Tag aber nicht mehr.

Watt nun?

Um sofort wieder von Neuem eine Wohnung zu suchen, fehlte mir absolut jede Energie und auch jeder Nerv.
Um mir das Getöse wochenlang anzuhören, fehlte mir absolut jede Energie und auch jeder Nerv.

Zum Glück ist der schwedische Sommer deutlich regenfreier, als sein Ruf bei Nichtdauerbewohnern.
Gottergeben schnürte ich ein Päckchen mit Reiswaffeln, Picknickdecke, literweise Wasser und einem Buch und machte mich auf die Suche nach was Grünem. Das ist nämlich das Tolle in Schweden: egal, wie unwirtlich eine Hochhaussiedlung ist: es findet sich immer in nächster Nähe ein Stück Natur, das eine deutsche Stadtpflanze von den Socken haut. Und so auch hier. Keine fünf Minuten Fußweg lag ich am Wasser.

Damit Ihr einen besseren Eindruck bekommt, habe ich noch ein Filmchen aufgenommen, bevor ich im Dösemodus versank:

Nach ein paar Tagen war mir die Wiese dann doch zu unspektakulär und ich trabte auf gut Glück einen unbekannten Weg entlang. Keine drei Marschminuten weiter entdeckte ich das Kleinod Farsta Gård. Immer wieder faszinierend, daß man in Schweden auch in städtischen Trabantenvororten noch auf Bullerby-Idylle stößt. Ich fühle mich dann immer sofort in eine andere Zeit versetzt, lausche dem Knarzen der Dielen und vergesse, wo ich bin. Bis mein Kopf gegen den nächsten historischen Türrahmen dengelt.

Sobald ich in meiner Wohnung war, schob ich mir Ohrenstöpsel bis ins Gehirn und setzte Bauarbeiterlärmkopfhörer oben drauf. Wie gut, daß ich gegenüber von Clas Ohlson mit seiner großen Heimwerkerabteilung wohnte. So tösend, wie das Gebohre war, reduzierte diese Kombiabschirmung zwar höchstens 50%. Aber das war schon mal besser, als nichts. Und um 18 Uhr hörte es ja auch meistens auf. Sonntags war komplett Ruhe. Man wird ja bescheiden.

Und was sagt uns das alles?
Es wird mindestens noch eine Unterkunft Nr. 6 geben. Geben müssen.

Ob ich in Stockholm 2016 noch einen Tag ohne Wohnungsthemen verbringen werde?