Besitz bindet. Wie bereits mein halber Hausstand bei Oxfam landete

Als ich nach meinem ersten Stockolmer Sommer zurück in meine Düsseldorfer Wohnung kam, saß ich so auf meinem Sofa, schaute mich um und fühlte mich, als würde man mir einen Betonklotz an die Füße hängen und mich in einen See werfen.
All diese Sachen!
Drei Zimmer, 1000 Bücher, bestimmt 30 Aktenordner, zig Varianten karierter Bettwäsche, Blumen, Geschirr. Am Liebsten hätte ich meine 2,5 Koffer genommen und wäre direkt zurück zum Flughafen gedüst.

In meinem zweiten Stockholmer Sommer träumte ich davon, daß meine Nachbarin anriefe und mir mit Grabesstimme verkünde, daß meine Wohnung abgebrannt sei. Ich wachte mit einem Lächeln auf.

Dabei liebe ich meine Wohnung.
Und ich bin überhaupt kein Gedöns-Typ.

Als mein neues Schlafzimmer vollendet war, rief ich meine Nachbarin rüber.

Sie schaute sich den Raum schweigend an, zuckte mit den Achseln und meinte: Ruf mich doch lieber nochmal, wenn Du ihn fertig eingerichtet hast.
Der IST fertig eingerichtet.

Liegt vielleicht alles an einer fulminanten Besitz-bindet-Neurose.
Die hatte ich schon als Kind.

Da kommst Du auch noch hin, sagten meine Eltern, wenn ich erklärte, nie ein eigenes Haus haben zu wollen.
Nein, sagte ich.
Doch, sagten sie.
Nein, wußte ich.
Und so kam es auch.

Besitz bindet.
Macht unfrei.

Ich empfinde Gegenstände als Ballast.
Was man besitzt muß gewartet, geputzt, geräumt, sortiert, aktualisiert, administriert, repariert und was sonst noch alles werden. Wer kerngesund ist, dem fällt wahrscheinlich gar nicht auf, wieviel Energie er pro Tag in seine Besitztümer steckt.

Nun habe ich aber nur noch rund 10% meiner früheren Leistungsfähigkeit. Wenn ich die auch noch damit zubringe, zu räumen, ordnen, bügeln, bleibt nüscht mehr übrig, um das zu genießen, was wirklich zählt im Leben: schmerzfreie Momente, Freunde, Liebe, Lesen, Ruhe, Sex.

Das ist das Tolle am chronischen Elend: man gelangt schnörkellos zur Essenz des Seins.

Vom monetären Aspekt des Besitzens einmal abgesehen. Dinge brauchen Platz. Und Platz kostet. Vor allem in den Städten, in denen ich mich bisher rumgetrieben habe. Und noch mehr in der Stadt, in der ich mich künftig herumzutreiben gedenke.

Dieses Konstrukt fand ich schon immer seltsam.
Also suchte ich dem vorzubeugen.

Indem ich keine Haushaltsgeräte kaufte zum Beispiel.
In den Küchenschränken meiner Eltern lagern nämlich all die Gerätleichen, die man früher zu einer Hochzeit geschenkt bekam: Eierkocher, Kaffeemahlmaschine und andere Obskuritäten. Sie lagern und lagern..

Gut, die Böden habe auch ich nicht mit dem Mund abgelutscht.
Aber neben einem Staubsauger, einem Wasserkocher, einer Waschmaschine, einem Herd und einem Handrührer. besaß ich bis vor wenigen Jahren keine Haushaltshelfer.

Und mein Kleiderschrank ließ schon so manchen Herren verschämt zur Seite blicken. Wenn ich ein neues Shirt kaufe, wandert ein altes sofort in die Altkleidersammlung. So blieb alles übersichtlich und ich brachte sogar noch all meine Handtücher und die Bettwäsche in meinem Schrank unter.

Bettwäsche ist das Einzige, das ich zu kaufen liebe. Kein Wunder bei der Lebenszeit, die ich im Bett verbringe. Und man muß Bettwäsche nicht anprobieren. Ein Blick, ein kurzes Befummeln, fertig ist der Kaufprozeß. Entsprechend könnte ich mit meiner Bettwäsche ein Hotel ausstatten.

Nun könnte man meinen, abgesehen von der Bettwäsche, hätte sich in einem Vierteljahrhundert eigenen Haushalts so gar nichts angesammelt bei mir. Es würde hallen, so leer wären meine Zimmer.

Schön wär’s!
Jedes Mal, wenn ich aus Stockholm zurückkehre, trifft mich der Schlag.
In Stockholm lebe ich monatelang aus zweieinhalb Koffern.

Und was vermisse ich in der Zeit?

NICHTS.

Denn seien wir ehrlich: was brauchen wir wirklich?

Eine Jeans, einen Rock, zwei Shirts, einen Pulli und Sneakers. Damit kann man Monate bestreiten.
In Stockholm trage ich wochenlang dasselbe. Nein, ohne zu Stinken wie ein Elch. Waschen, rein in den Trockner, 2h später wieder anziehen. Selten fühle ich mich so unendlich frei!

Und so kam es bisher nach jedem Sommer zu exzessiven Aussortieraktionen.
Weg mit dem Ballast!

Und wohin?
Dahin, wo er noch Sinn macht. Wo jemand meine Sachen kauft, der sie weiter nutzt. Und wo das gesammelte Geld am Ende in Hilfsprojekte investiert wird. Davon gibt es diverse Organisationen. Ich spende immer alles bei Oxfam.

Nach und nach wanderte auf diese Weise mein halber Haushalt in den kleinen Laden. Rund 700 Bücher und mehrere Kubikmeter fast nagelneuer Gegenstände für den Alltag fanden dort schon ein vorübergehendes Zuhause. Ab und zu tat es richtig weh. Meine teuren Maßanzüge hingen viele Jahre in meinem Schrank und hofften gemeinsam mit mir, daß ich noch einmal gesund genug sein werde, um in ihnen durch Business-Meetings zu fegen.
“Wollen Sie die nicht lieber noch behalten, die sind doch sehr wertvoll?” Der nette Herr bei Oxfam sah mir genau die Sekunde zu lange in die Augen, die meine Tränen brauchten, um sichtbar zu werden.. “Das hat leider keinen Zweck mehr”, antwortete ich, wischte sie weg und ging. 

Und als ich dachte, jetzt könne ich absolut auf keinen Fall noch mehr reduzieren, kündigte ich meine Wohnung. Seitdem sehe ich alles, was hier noch steht, in Kistenmaßen. Und weil ich selber nichts tragen kann, sehe ich meine armen Freunde und Umzugshelfer, wie sie diese Kisten die Treppe runterschlörren. Und siehe da: Ich kann doch noch auf erstaunlich viel verzichten.

Wenn ich so weiter mache, verlasse ich diese Wohnung in vier Wochen mit Kreditkarte in der Rechten und Teddy in der Linken. Ich bin gespannt..