Road Trip 1: Wohnung kündigen, alles einlagern und mit zwei Koffern in die frische Luft Stockholms

“Du???? Ausgerechnet DU?” Meine nette Nachbarin A. bekam sich kaum wieder ein. “Wenn ICH das wär. Ich kann überall schlafen. Egal wie laut und dreckig. Zur Not zische ich mir ein paar Bier und dann bin ich weg. Aber DU?”

Ja, sagte ich, Du hast ja recht. Und seufzte einmal tief vor mich hin. Es gibt wohl kaum jemanden, der von seiner Reizwahrnehmung so wenig dazu geeignet ist, in anderer Leute Wohnungen zu campieren.
Ich kenne auch niemanden, der so pingelig ist, wie ich.
Ich kenne auch niemanden, der so intolerant gegenüber “falscher” Wohnungseinrichtung ist, wie ich.
Und ich kenne niemanden, der kranksheitsbedingt so viel Anforderungen an Bett & Co. hat, wie ich.

Es gibt aber vielleicht auch niemanden, der so sehr die Sehnsucht hat, mal wieder mehr als ein bis zwei Stunden ohne quälende Migräne zu leben. Elf Jahre im Düsseldorfer Klima haben ein totales Wrack aus mir gemacht. Und ich weiß, daß es mir in nordischem Klima viel besser geht.
Und ich möchte meine mir angeborenen und anerzogenen engen Grenzen auf ihre Durchlässigkeit testen.
Von innen dagegen boxen.
Und schauen, was es mit einem schwer kranken Menschen macht, wenn er gezwungen ist, auf vieles zu verzichten, das für ihn eigentlich unabdingbar ist. Und damit meine ich nicht Gegenstände, sondern Komfort, Gewohnheiten, Strukturen.
Mein Bett-Positions-Fetisch zum Beispiel. Am Liebsten schlafe ich mit dem Gesicht, also dem Fußende des Bettes, Richtung Fenster. Gerne quer durch den ganzen Raum. Das gibt mir das Gefühl von Freiheit. Mir ist schleierhaft, wie man sein Bett so positionieren kann, daß man am Fußende direkt gegen eine Wand starrt. Das fühlt sich für mich an, als wäre ich Fury und in einem Schafstall eingepfercht.
Bisher habe ich noch jede Wohnung so lange umgebaut, bis das Bett an der Innenzimmerwand stand und ich freie Sicht durchs Fenster auf der anderen Seite hatte. Aber was, wenn das partout nicht geht, weil es die letzte Unterkunft auf diesem Planeten ist?
Nun hatte ich aber erst mal andere Sorgen. Nämlich die, daß ich ungeplant noch eine Nacht in Düsseldorf im Hotel schlafen mußte. Nach dem Umzugschaos ging nämlich gar nichts mehr. Nicht mal die Tour nach Stockholm, die ich selbst mit Turbomigräne noch im Schlaf absolviere. Bin sie ja schon weit über 100x geflogen. Und es gibt kaum Laufwege zu bewältigen.
Meine letzte Nacht in Düsseldorf sollte natürlich schön verlaufen. Ich kann nicht nicht schön hausen. Und so entdeckte ich die Helvetia Suites auf der Herzogstrasse. Wenn man davon absieht, daß sie keinen Fahrstuhl haben und ich dadurch massiv auf Hilfe angewiesen war, sind sie eine wunderbare Alternative zu einem reinen Hotelzimmer.

In meine Superior Suite wäre ich am Liebsten direkt eingezogen. Dumm nur, daß sie im selben üblen Klima liegt, wie die Wohnung, die ich am selben Tag genau deswegen für immer verließ.

 

Durch die kleine Küche können sich auch Hardcore-Allergiker wie ich noch selber versorgen. Ich brauchte das Zimmer also keinen Millimeter mehr verlassen vor meinem Abflug.
Nicht mal mehr piep konnte ich sagen. Ok, vielleicht ein wenig. Es gab abends noch Besuch, hüstel.
Am nächsten Morgen Marschbefehl: Allerallerallerletzte Kräfte bündeln und auf in die “Heimat”.

Plötzlich entpuppte sich mein Koffer-Sparmodell als Problem. Die Idee, den 2. großen Rollkoffer durch eine kleinere Sporttasche zu ersetzen war nicht sonderlich pfiffig. Merkte ich, als ich vom Hoteleingang zum Taxi navigierte. Bzw. zu navigieren versuchte. Die klumpige Sporttasche brachte den Rollkoffer zum Umkippen. Und tragen kann ich ja nix. Ich würde in Stockholm immobil sein, wie ein umgedrehter Kartoffelkäfer.

Ich schaute in die Tasche, auf meinen Koffer, wieder in die Tasche und begann, wie eine Irre umzupacken. In hohem Bogen flog alles, das mit ordentlich Zähneknirschen doch noch verzichtbar war, in die Reisetasche. Und die Reisetasche gab ich schnell noch im Reisebüro meiner lieben Freundin Fröken Meyer ab.

Nun war ich wirklich leicht: 1 Koffer, 1 Kabinentrolley, 1 kleiner Rucksack für den Laptop und eine Handtasche. Das war alles für die nächsten Wochen. Oder Monate. Inklusive der vielen gesetzten Gegenstände des Alltags, die meist schon 90% vom Platz einnehmen.

Kleidung?  Wird überbewertet.
3 T-Shirts, 3 Langarmshirts, 2 Strickjacken, 1 Jeans, paar Miniröcke, zwei Leggins zum Kombinieren mit Rock, 2 Paar Sneakers als Schuhe.
Muß gehen.
Wird gehen.
Immer schön an “Simplify” denken.
In Stockholm angekommen fiel ich direkt ins nächste Bett. Meine Freundin T. hat eine zauberhafte Wohnung auf meiner Lieblingsinsel Kungsholmen..

 

Man kommt hinein und es strömt einem ihre geballte Yogaenergie entgegegn. Ich merke immer direkt, ob jemand seine Wohnung liebt oder nur einrichtet. Und sie liebt ihre Wohnung. Ich auch. Schade, daß sie gerade nicht wieder auf Weltreise war. Das hätte mir so einiges erspart.
Noch ahnte ich allerdings nicht, was vor mir liegen würde. Und das war gut so. Denn sofort zahlte ich den Preis für die Auszugszeit, in der ich mich maßlos übernommen hatte. 3-4h Schlaf aus lauter innerem Streß, immer wieder Kortison-Doping, um meine Mastzellerkrankung und die unbeschreibbaren Schmerzen unter einen gewissen Level zu drücken. Am Ende zählte nur noch reines Überleben der Hauruck-Aktion.

Kein Wunder, daß ich beim Umzug so gut drauf war. Selbst ein Kamel, das schon Jahre tot in der Sahara liegt, wäre bei dem Doping erfrischt zur nächsten Oase galoppiert.Nun war das Doping weg und alles andere da:

Migräne
Trigeminusneuralgie
Mastozytoseschub mit mindestens zehn unerquicklichen Symptomen
Hardcore-Fatigue

Und keine Lust mehr. Zu nix. Nur eines hatte ich nicht: ein Plätzchen zum Wohnen. Und nur noch sechs Tage und Nächte, um dieses aufzutreiben.Dürfte eigentlich nicht so schwer sein.
Dachte ich.