Es gibt Menschen, von denen hört man nur, wenn es Ihnen schlecht geht. Und dann gibt es Menschen, von denen hört man nur, wenn es ihnen gut geht. Oder zumindest so gut, daß sie nicht mit einem Strick um den Hals auf dem Stuhl stehen. Zu den Kandidaten zähle ich.
So erklärt sich, daß ich aus Stockholm meistens poste wie wild. Und so erklärt sich leider auch, daß seit zwei Monaten immer wieder lange Funkstille auf meinem Blog herrscht.
Denn vor, aber noch mehr nach meinem kleinen Düsseldorf-Highlight konnte ich die meiste Zeit kaum atmen vor lauter Verzweiflung: heftige Spätfolgen von zu viel Chemie auf der Reise, noch mehr Theater als eh schon im Gesundheitssystem, ein Hamsterrad auf Speed.
Und wegen dieser 24/7-Verausgabung noch weniger Möglichkeiten zu einem zumindest homöopathischen Sozialleben. Weil „normale“ Menschen in unserem deutschen “Leben, um zu Arbeiten”-Dasein im Schnitt immer nur alle 3-4 Wochen mal eine Möglichkeit für einen neuen Termin finden, bleibt es in meiner Wohnung seit Jahren viel, viel stiller, als es mir lieb wäre. (Daß das auch anders funktioniert, sieht man in Skandinavien.)
Im letzten Monat hatte ich 13 von 720 Stunden privat Menschenkontakt. Dreizehn. Das ist verdammt viel Einsamkeit – mitten unter 1,8 Millionen Hamburgern.
Meine kleine Energie geht durch die hohen Anforderungen unseres Systems an chronisch Kranke gezwungenermaßen nonstop in die absoluten Lebens-Basics. Und diese Energie fehlt mir dann, um das zu schaffen, was wirklich wichtig wäre: einen verträglichen Wohnraum zu finden oder zu kreieren.
Ich habe tolle Ideen dafür. Und jede Minute, die ich es schaffe, daran zu arbeiten, habe ich sofort wieder Lebensmut und Hoffnung. Ohne den konstanten Einzelkämpfer-Überlebensstreß hätte ich alles schon lange realisiert.
Schön wäre auch, meine Seele durch Besuch zu nähren. Oder mal irgendetwas „Sinnloses“ zu tun wie eine Blume einzupflanzen, einfach weil es ein wenig Licht in mein Herz geben könnte. Ich weiß schließlich genau, was mir gut tut und wie ich mich mental wieder selber aufbauen kann. Um das zu herauszufinden, brauche ich keinen Psychologen und somit noch einen externen Termin. Ich brauche einfach weniger künstliche Knüppel zwischen meinen maroden Beinen! Und ein wenig praktische Unterstützung.
So überwiegt immer wieder das Gefühl, selbst mit der durch die Bioresonanz gewachsenen Energie, dieses schon 21 Jahre andauernde „Rennen“ sowieso nie gewinnen zu können. Weil mein winziges Leben auch die nächsten Jahre von Verwaltung geschluckt wird, so lange es keine flexibleren Regeln für Menschen mit ME/CFS und MCS gibt.
Zack, lag sie vor einiger Zeit wieder über mir, die riesige, klatschnasse, schwarze Decke. Zurück blieb eine Frau E., die atemlos vor seelischem Schmerz nicht mal mehr zur Ablenkung Filme schauen konnte.
Und rund um die Uhr nur ein sehnlicher Wunsch: diese Art von Leben nicht noch eine Minute weiterführen zu müssen.
Nicht. Noch. Eine. Minute.
Daß all die Ablehnung, die unnötigen Hürden, das zusätzliche Leid, die Isolation endlich aufhören. Friede. Wie verlockend.
Wenn ich in Phasen komme, in denen ich mich von Stunde zu Stunde neu davon abhalten muß, alles zu beenden, hilft nur, mich für eine Weile vollkommen zu zentrieren. Kein Social Media, nur die allerwichtigsten Mails, keine Infos von außen, keine einzige Distraktion. Nichts, das ablenkt. Nichts, das aufregt. Zu mir finden. Atmen. Achtsamkeit. Reste zusammenklauben. Menschen nur real sehen oder hören.
Da bin ich gerade noch bei. Und mache Fortschritte, vor allem, weil meine Idee für ein alternatives Leben in einer Art MCS-Mobil gerade nach Millionen Mauseschritten in acht Jahren einen kleinen Haps nach vorne eingelegt hat.
Allerdings kann mich aktuell noch jedes Dazwischengrätschen, beispielsweise durch einen Brief meiner Krankenkasse mit neuem Theater oder ein verlorengegangenes Postpaket, zurück auf Null katapultieren. Meine Frustrationstoleranzgrenze ist nur noch mit einer Hochleistungslupe auffindbar.
Mein Zwiespalt zwischen aufmunternden Texten und größtmöglicher Ehrlichkeit
Für meinen Blog warte ich in solch existentiellen Phasen normalerweise immer, bis ich zufällig gerade mal wieder ein halbes Stündchen ausreichend Humor und Optimismus verspüre, um das Leben mit unsichtbaren Krankheiten augenzwinkernd zu beschreiben.
In den Momenten bin ich durchaus wahrhaftig, denn ich empfinde es auch so. Und vielleicht hält die Stimmung sogar ein paar Stunden. Oder Tage. Bis mich wieder ein Bündel Arzt-Antrag-Rezept-Termin-System-Theater niederstreckt.
Ich möchte keinen jammerigen Blog produzieren. Doch wenn ich konstant verschweige, wie nah ich manchmal daran bin, mir das Leben zu nehmen, wie unfaßbar isoliert, mühselig und hoffnungslos das Leben mit Krankheiten wie ME/CFS oder MCS in diesem Gesundheitssystem und unserer Gesellschaft sein kann, helfe ich auch keinem „von uns“ wirklich weiter.
Und dann werde ich irgendwann auch eine von den vielen sein, die sich still verabschieden – wovon “das System” letztendlich profitiert.
Darüber müssen wir offen reden, bevor hirnverbrannnten Vorschlägen wie dem von Jens Spahn, vor jede Psychotherapie eine Prüfhürde einzubauen, noch weitere Klöpse dieser Art folgen.
Jetzt, wo ich mich sowieso nackig und angreifbar gemacht habe, werde ich – wenn ich hoffentlich wieder mehr vermag – ausführlicher erzählen, warum das Leben mit chronischen Krankheiten phasenweise oder durchgehend mit Depressionen und sogar suizidalen Phasen verbunden ist.
Mit meinen Krankheiten kann ich gut kooperieren. Es sind gerade bei ME/CFS und MCS die – änderbaren! – Umstände drum herum, die das letzte Seil zum Festland kappen.
Ein neues Interview mit mir in einer Publikation über die vielen Ursachen von Depressionen
Bis ich wieder mehr Kapazität habe, könnt Ihr ein Interview mit mir zu dem Thema in der informativen Broschüre „Unter besonderen Umständen – Wie Depressionen entstehen und was helfen kann“ nachlesen.
Sie wurde wurde vor einigen Monaten vom Team der MUT-Tour, hier insbesondere von Sebastian Burger, erarbeitet und fotografiert. Unterstützt wird die MUT-Tour von der Deutschen Depressionsliga e.V., der Stiftung Deutsche Depressionshilfe e.V., der Deutschen Rentenversicherung, von Aktion Mensch und vielen anderen Institutionen.
Ich hatte mich auf die Anfrage hin bereit erklärt, Patin für das Thema „Chronische Krankheit und Depression“ zu werden. Ganz bewußt habe ich mich dafür entschieden, auch mein Gesicht zu zeigen. Damit Nicht-Betroffene verstehen können, daß man niemandem die seelischen Päckchen ansehen kann, die er zu tragen hat. Jeder, der Dir begegnet könnte davon betroffen sein.
Zu Strahlen heißt nämlich nicht, daß es einem generell gut geht. Ich kann auch in schwarzen Phasen für einige Stunden doll strahlen. Wenn ich es unter Menschen schaffe zum Beispiel. Weil ich in dem Augenblick soooo unfaßbar dankbar bin.
Viel könnte man erzählen, viel werde ich hoffentlich noch erzählen können. 😉
Und hier geht’s zum pdf der – wie ich finde – ausgesprochenen gelungenen Broschüre, die viele Gründe für Depressionen beleuchtet: „Unter besonderen Umständen – Wie Depressionen entstehen und was helfen kann“