Mein Schmerzspezialist schaut mich erstaunt an.
“Nein, nicht in Schweden”, sage ich und könnte direkt wieder losweinen vor Verzweiflung.
Nicht in Schweden.
“Die anderen haben mich gefragt, wo Du bleibst. Das ist doch Deine Hitzeflucht-Zeit.”, mailt mir ein britischer Kumpel aus Stockholm.
Die anderen sind ein lockeres Grüppchen aus rund zwanzig Expats und Schweden.
Wir treffen uns in Cafes, am Wasser oder zufällig in der Tunnelbana.
In Stockholm treffe ich ständig Menschen zufällig auf der Straße.
In Schweden existiere ich ja auch vor der Tür, wegen des Klimas.
In Düsseldorf liege ich von Ende Mai bis Ende September hinter doppelten Hitzeschutzvorhängen fast durchgehend zusammengekrümmt und hechelnd vor Schmerzen auf meinem Bett und frage mich, wozu ich das durchhalte.
Ich bin gerührt.
Da saß also ein internationales Grüppchen zusammen und philosophierte, wo ich bleibe.
Daß es mir noch schlechter geht, als nötig, liegt an den Gesetzen.
Als Krankgeschriebene bekomme ich nur Krankengeld, wenn ich mich an meinem deutschen Krankenort aufhalte.
Ich könnte im Ausland ja Party machen.
Was ich hier auch schon seit Jahren nicht mehr schaffe, aber egal.
Das interessiert die Gesetze ja nicht.
Die Gesetze sehen vor, daß Menschen, die noch nie in unsere Sozialsysteme eingezahlt haben, aus dem Ausland zu uns kommen und Geld erhalten können. Und damit meine ich jetzt nicht rechtmäßige Flüchtlinge oder Umzügler, die sich selbst finanzieren.
Die Gesetze sehen aber nicht vor, daß Menschen, die jahrelang in unsere Sozialsysteme eingezahlt haben, ihr Krankengeld auch ein paar Wochen im Ausland beziehen, wenn es Ihnen dort gesundheitlich viel, viel besser geht.
Dies geht nur auf Ausnahmegenehmigung.
Die beantragt man mit Befürwortung seines behandelnden Arztes bei seiner Krankenkasse.
Und die sendet den Fall an den MdK, den Medizinischen Dienst der Krankenkassen.
Das ist ein großes schwarzes Loch, eine Art Orakel, das man nicht kontaktieren kann.
Man muß warten.
86.400 Schmerzminuten pro Tag, 604.800 Schmerzminuten pro Woche.
Lassen Sie sich ruhig Zeit!
Also stellte ich einen solchen Antrag.
Ausführlich erklärte ich der netten Dame von meiner Krankenkasse meine Situation und daß ich bereits seit Jahren mein ganzes Gespartes darin investiere, die Düsseldorfer Sommerzeit mit 30 Migränetagen pro Monat zu umgehen.
“Ich leite den Antrag auf Urlaub so schnell wie möglich weiter.”, sagte die nette Dame.
“Das ist kein Urlaub”, sagte ich. “Spaß macht das nicht, auf Kommando sein Leben zu verlassen und für unverschämt hohe Preise so lange in fremder Leute Betten zu liegen, wie es das deutsche Wetter bestimmt. Auch, wenn ich Stockholm liebe, Heimweh kommt trotzdem auf, wenn man die meiste Zeit in der Wohnung verbringen muß. Ich kann meine deutschen Freunde ja schlecht im Koffer mitnehmen.”
Das sah sie ein.
Ein paar Wochen später wurde ich zunehmend unruhig.
Schließlich besitze ich keine Wohnung im Ausland, die mit gemachtem Bett auf mich wartet, sondern muß mich erst via Mail um eine der im Internet Angebotenen bewerben.
Da habe ich nicht holterdipolter ein Resultat.
Zudem habe ich wegen meiner Autoimmungeschichte nur rund zwei Tage im Monat genügend Energie, um irgendwie den Transfer zu bewältigen.
Die gilt es abzupassen.
Dort kann ich mich ja dann direkt wieder aufs Sofa werfen, so wie letzten Sommer auch.
Aber wenigstens wären die höllische Migräne und Trigeminusneuralgie extrem reduziert.
Halbgar herumliegen mit ohne Schmerzen ist doch schon mal deutlich mehr als dreivierteltot herumliegen mit unfassbaren Schmerzen.
“Von Ihrem Urlaubsantrag habe ich leider noch nichts gehört”, sagte die nette Dame.
Ich bekomme direkt wieder Puls.
Sie meint es nicht böse.
Weiß ich.
Aber meine Nerven liegen nur noch blank.
“Urlaub ist etwas, das man freiwillig unternimmt. Kein Exodus.”
“Ja, stimmt”, sagte die nette Dame.
Sie ist wirklich immer sehr lieb bemüht.
“Sobald ich die Antwort vom MdK habe, ob Sie in den Urlaub fahren dürfen, melde ich mich.”
Beim MdK habe ich vor Monaten die Kostenübernahme für ein Medikament beantragt.
Nach vier bis sechs Wochen sei mit einer Entscheidung zu rechnen.
Nach Monaten und zig Nachfragen bei meiner Krankenkasse, ob sie nicht ausnahmsweise bitte doch mal beim MdK nachhaken könnten, kam ein Brief: der Gutachter benötige noch zusätzliche Unterlagen
Daß etwas fehlt, hätte man mir auch vor Monaten direkt sagen können.
Jetzt bin ich auf Wochen mit Migräne und Autoimmunerkrankungsschüben niedergestreckt und soll mir noch ein Bein ausreißen, um zusätzliche Gutachten zu besorgen, die der Gutachter dann begutachten kann.
Wenn mein Antrag auf Hitzeflucht genauso schnell bearbeitet wird, kämpft sich der Postbote wahrscheinlich bereits durch den Schnee, wenn er mir das Ergebnis bringt.