Mit ärztlichem Empfehlungsschreiben zum Facharzt-Termin?! (4/4)

Wie die Neurologensuche weitergegangen ist?
Der Dringlichkeitscode war verbraucht. Sinnfrei. Da Neurologe 2 nicht mehr als Neurologe arbeitet. Trotzdem weg der Code.

Am Freitag nach meinem Termin bei Neurologe 2, der mir eine Art Empfehlungsschreiben an den potentiellen Neurologen 3 schreiben wollte, solle ich bei der großen neurologischen Gemeinschaftspraxis anrufen.

Ich rufe an.
Warteschleife.
Warteschleife.
Warteschleife.
Sie rufen außerhalb unserer Sprechzeiten an.
Timer stellen.
Ich rufe an.
Warteschleife.
Aber das kennt Ihr ja bereits.

Jemand geht dran.
Ich erzähle, daß ein Brief von Neurologe 2 dort läge, der mich avisiert für Neurologe 3.
Sie sucht,
Vielleicht doch per Mail?
Sie sucht.
Vielleicht mit dieser Adresse oder jener?
Die arme Frau sucht.
Nix
Kein Papierbrief zu finden.
Keine E-Mail mit meinen anderen Arztunterlagen zu finden.

Rufen Sie doch “mal eben” bei Neurologe 2 an.
Ich bekomme Schnappatmung.
Wir nehmen nämlich keine neuen Patienten mehr auf. Nur, wenn jemand als dringender Fall von einem anderen Arzt weitergeleitet wird.
Ich bin bald ein dringender Fall. Für die Psychiatrie.

Anruf bei Neurologe 2
Sie rufen außerhalb unserer Sprechzeiten an.
Hat offenbar andere als Neurologe 3.
Timer stellen.
Ich rufe an.
Warteschleife. Das Übliche.

Jemand geht dran.
Erzähl, erzähl, erzähl.
Der Doktor würde mich zurückrufen.

Ab jetzt keinen Schritt mehr ohne Smartphone.
Smartphone auf dem WC.
Nicht mehr hinlegen und schlafen.
Keine Haare fönen.
Wenn Ärzte wüßten, was wir veranstalten, um ja keinen Anruf zu verpassen. Das würde ich nicht mal für eine sexy Granate praktizieren.

Ich verpasse aber keinen Anruf. Er kommt nicht.

Dafür eine Mail von Neurologe 2. Er habe den Brief eingeworfen und wisse leider auch nicht, was passiert sei. Das glaube ich ihm. Und finde es super nett, daß er ihn überhaupt geschrieben hat. Vielen Dank an dieser Stelle nochmal! Hilft mir nur gerade nicht weiter.

Nun habe er den Brief nochmal ausgedruckt. Ich könne ihn abholen und bei Neurologe 3 vorbeibringen.
Klasse Idee das mit dem Abholen..

Heißt:
Mit dem Rad zur S-Bahn fahren.
In die Stadt reisen.
Zum Neurologen latschen.
Brief abholen.
Mich zurück zur Bahn schleppen.
Zum nächsten Neurologen fahren.
Hin latschen.
Mich vorstellen und locker zehn Minuten erklären, warum ich dort mit einem Brief stehe.
Bitten. Betteln. Vermutlich Klatsche einfangen.
Schnappatmung beruhigen.
Zurück zur Bahn latschen.
In meinen Stadtteil fahren.
Mit dem Rad nach Hause.
Um einen Brief von A nach B zu bringen.
Würde mich 2-3 Tage Energie kosten.

Ergebnis? Wäre offen.

Der Brief liegt noch heute dort. Leider. Ich habe das nicht geschafft. Ich habe plötzlich gar nichts mehr geschafft. Körperlich nicht. Und seelisch erst recht nicht.

Was natürlich kein Wunder ist, wenn man bedenkt, daß ich mich mal so nebenbei ein halbes Jahr mit Wohnungssuche verausgabt habe, dann den Umzug alleine gemanagt, alles in Mauseschrittchen ausgepackt und geräumt und nonstop all meine nicht vorhandene Energie in dieses Gesundheitssystemtheater gesteckt habe. Für Nix und wieder Nix.

Zeit, in der ich nette Menschen hätte kennenlernen können. Oder Hamburg. Oder einfach nur auf der Couch eine Runde Amazon Prime bingewatchen, um meinem mörderverausgabten Körper die Chance zu geben, auf normal schlecht hochzugesunden.

Und in all den Monaten pro Woche im Schnitt drei Stunden Energie über, um irgendetwas zu unternehmen, das nicht nur existentiell notwendige Plage ist. Und die leere Positivwaagschale bevölkern könnte.

Wenn ich zur Zeit nur einen der 200 Notizzettel sehe, auf denen steht, wen ich
nach welchem Praxis-Urlaub, Umbau, Mittagspause – was auch immer – wegen XY noch
anrufen muß, bekomme ich gerade einen hysterischen Anfall.

Ich kenne durch meinen Blog inzwischen viele chronisch Kranke. In derselben Lage. Nicht die Krankheit bricht uns das Genick. Die, die ich kenne, meistern ihre Einschränkungen, Schmerzen und Leiden ganz wunderbar. Sie sind tapfer. Und akzeptieren die Situation. Und all das, was ihnen schrittweise genommen wurde. Immer wieder. Über Jahre. Jahrzehnte.

Woran wir aber seelisch zugrunde gehen, ist die Außenwelt. Unverständnis und der zusätzliche 24/7-Kampf gegen ein System, das eigentlich dafür erdacht war, kranke Menschen zu unterstützten. Es aber nur bedingt macht. Was niemand bemerkt, der sich nur mal eben so ein Bein bricht. Oder einen Furunkel anzüchtet.

Und da gebe ich nicht den Ärzten die Schuld! Ein Arzt ist auch nur ein Mensch und kein Robin Hood. Ärzte müssen ein kleines Unternehmen führen. Und wenn das Gesundheitssystem auf der einen Seite 200 Seiten Dokumentation für jeden Vorgang fordert, auf der anderen aber nur 3,50€ pro Quartal für einen Patienten zahlt, bleibt das Menschliche auf der Strecke. Und Chroniker erst recht. Vor allem, wenn sie keine Krankheit haben, an der die Pharmaindustrie gut verdienen kann.
Da könnte man durchaus mal drüber nachdenken in der Politik.

Eine gute Nachricht habe ich aber zum Schluß: in der Zeit, in der andere ein Kind bekommen, habe ich nun doch noch eine Neurologin gefunden. Fachärztin Nr. 1 hätte ich damit schon mal. Passend zum Nervenzusammenbruch.

 

Hier kannst Du alle Teile meiner 9-monatigen Jagd auf einen Termin bei einem Neurologen in Hamburg lesen:

Teil 1: Chronisch krank? Ein Fulltime-Job! Beispiel: Arzttermine

Teil 2: Die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung (KV)

Teil 3: Facharzt-Termin: Neurologe, Suchmonat 9

Teil 4: Mit ärztlichem Empfehlungsschreiben zum Facharzt-Termin?!