Warum können wir nach dem Absturz von Germanwings 4U9525 nicht erst mal nur trauern?!

Germanwings, Absturz, 4U9525

Nach längerer Pause wollte ich gestern eigentlich einen lustigen Text posten, als mich die Nachricht vom Absturz der Germanwings-Maschine erreichte.

Wie vermutlich die meisten von Euch, bin ich fassungslos.
Für meinen Schmerz über den Tod von so vielen Fluggästen und Kollegen fehlen mir die Worte.
Meine Gedanken sind bei den Angehörigen der Verstorbenen und den Menschen, die der schweren Aufgabe nachgehen, die Opfer zu bergen.

Bis Spezialisten die Ursache identifiziert haben, würde ich mir von Herzen wünschen, dass alle selbsternannten Experten ihre unqualifizierten Kommentare zur Unfallursache nicht im Internet posten und den Angehörigen damit zusätzliches Leid verursachen.

Von BILD Online bis ZEIT Online ist sich keine Redaktion zu schade, ohne jegliche Kenntnis der wahren Absturzursache Zusammenhänge herzustellen.
Mal ist die Umfirmierung zur Billigairline Schuld, mal das Alter des Flugzeugs.
Der Rauch über der Absturzstelle ist vermutlich nicht einmal erloschen, da wird über den Aktienkurs von Lufthansa philosophiert und Schuld verteilt.

Gibt es so etwas wie Pietät noch?

Zwischen meine Tränen mischt sich Wut.
Und weil mir bekanntermaßen nichts so sehr hilft, wie meine Gedanken in die Tastatur zu hacken, gibt es sie hier jetzt zu lesen.

Das Flugzeug war schließlich 24 Jahre alt.

Ja, der Airbus war 24 Jahre alt.
Ein 24 Jahre altes Flugzeug ist aber nicht vergleichbar mit einem 24 Jahre alten Auto.

Neben den A, B und C-Checks, die viel häufiger stattfinden, wird jedes Flugzeug alle paar Jahre beim D-Check komplett zerlegt.

In bis zu 80.000 Arbeitsstunden entfernt man erst den Lack, dann alle anhängenden Teile. Anschließend werden sämtliche Elemente bis zur kleinsten Schraube auseinandergebaut, geprüft, geröngt, mit Sonden auf Materialermüdung untersucht und ersetzt.
Das Endprodukt kann als neuwertig bezeichnet werden.

Manche Damen aus der Showbranche sind auf dem Papier auch 24 Jahre alt.
Nicht aber die Einzelteile.

Absturz stellt Lufthansa Konzept in Frage (ZEIT online)

Wo besteht hier ein logischer Zusammenhang?

Gespart wird nicht an der Sicherheit, sondern an anderen Stellschrauben.
So reduziert allein die Konzentration auf ein einziges Flugzeugmodell erhebliche Kosten.

Abgespeckt wird auch am Service vom Ticketerwerb, über Hotlines, Onboard-Entertainment und Mahlzeiten, Zeitschriften, Gepäck oder Checkin-Möglichkeiten.
Hinzu kommen günstigere Regionalflughäfen oder ungünstigere Abflugzeiten, nicht zu vergessen Arbeitsverträge mit niedrigerem Gehalt.

Klar, bei einer Billigairline werden Wartungen geschlampt

Low Cost Airlines unterliegen ebenso den europäischen Sicherheitsanforderungen wie Premium Carrier.
Flugzeug ist Flugzeug.
Irrelevant, was die Passagiere für ihre Tickets bezahlen.

Germanwings ist eine Tochter von Lufthansa.
Ergo wird sie auch von der Lufthansa Technik gewartet, einem Weltmarktführer auf diesem Gebiet.

Ich glaube kaum, daß die Techniker bei einem Germanwings Airbus sagen. “Och, lassen wir mal die Schrauben hier weg. Ist ja nur die Billig-Tochter.”

Durch die Behörden sind zudem strenge Wartungsintervalle vorgegeben, die nicht ausgelassen werden können.

Wie kann so was Schreckliches passieren?!

Wie kann so was nicht passieren?

Unglücke sind Alltag.
Krieg ist Alltag.
Krankheiten sind Alltag.

Alltag ist Leben und Sterben.

Auch in Deutschland, wo wir das unsägliche Glück haben, uns nicht ständig vor Tsunamis, Hurricanes, Erdbeben, Seuchen, Krieg, Hunger, Vertreibung, Massenvergewaltigung oder anderen Gewaltttaten fürchten zu müssen.

Uns geht es hier irrsinnig gut!
Und weil es uns so irrsinnig gut geht, können viele, die noch nicht an eigenem Leib mit elendigen Situationen konfrontiert wurden, diese dumme Frage stellen.

Oh je, nun traue ich mich gar nicht mehr zu fliegen!!

Lufthansa transportiert pro Jahr mehr als 100 Millionen Fluggäste.
Das sind seit Gründung Millarden Passagiere, die sicher dort angekommen sind, wo sie hinwollten.

Inklusive Abstürzen bei Testflügen sind durch Lufthansa-Maschinen weltweit bis gestern morgen 178 Menschen gestorben.
Nun sind es 328 tragisch Verunglückte.

Allein im Jahr 2014 gab es in europäischen Straßenverkehr über 24.000 Tote.

Versteht mich bitte nicht falsch: Jeder Tote ist ein Toter zu viel.
Aber jeder, der ein Auto benutzt, darf nicht mal mit der Wimper zucken, um mit einem Flugzeug zu reisen.

Noch wissen wir nicht, was die Ursache war.
Was wir aber wissen oder nicht verdrängen sollten: alles ist fehlerhaft.
Die Natur, der Mensch und das Material.

Wo Menschen tätig sind, passieren Fehler.
Und wo immer mehr selbstdenkende und -handelnde Software im Einsatz ist, erst recht.
Es können Fehler aus der Materialproduktion sein oder eine unglückliche Koinzidenz verschiedener klimatischer oder natürlicher Ursachen, die nur in ihrer Summe zu einem Absturz führen.

Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen, so verkrampft nach dem einen Schuldigen zu suchen, weil es dadurch so leicht wird, das Risiko des Lebens zu verdrängen.
Aktionismus gegen Innehalten und Akzeptieren.

Die Toten werden durch Schuldzuweisungen nicht mehr lebendig.

Das Risiko des Lebens dagegen ist immer da.
Jeder Tag kann unser letzter sein.

Deshalb laßt uns nun derer gedenken, die seit gestern in tiefer Trauer sind.
Und dankbar sein für die unbekannte Zeit, die wir selber noch haben.