Es regnet viel in Hamburg? Kein Problem! |
Jedes Mal, wenn in deutschen Breitengraden Rudimente vom Herbst anbrechen, schallt es mir auf allen Kanälen entgegen: Jetzt ist es kühl hier. Nun kannst Du doch zurück kommen.
Das ist wirklich lieb gemeint. Und ich schätze mich glücklich, daß so viele Menschen jahrein jahraus versuchen, mich in Nordrhein-Westfalen zu halten.
Gleichzeitig macht es mich natürlich auch traurig. Soll ich etwa noch länger viel mehr leiden, als notwendig? Wer verläßt schon freiwillig seine Heimat?
Ich liebe die Ecke hier. Bin im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen. Hätte der Pott Kurortklima, ich würde noch heute Nachmittag dahin ziehen. Und in Düsseldorf habe ich auch nicht elf Jahre lang zum Spaß klimabedingte Extra-Qualen durchgestanden. Ich mag die Menschen, die Mentalität. Meine Freunde lasse ich nur sehr ungern zurück.
Wirtschaftsflüchtlinge versteht man. Menschen, die ein bestimmtes Klima so krank macht, daß auch sie ihr ganzes Umfeld aufzugeben bereit sind, nicht. Das ist für mich ein Teil der sehr umfassenden Diskriminierung von schweren, aber unsichtbaren Krankheiten.
Wenn Chroniker etwas äußern, das für sie unabdingbar ist, steht dies ständig zur Diskussion. Als wäre man ein gedankenloser Zausel mit einer spinnerten Idee. Mit einem Querschnittsgelähmten argumentiert man dagegen nicht herum, ob er einen Rollstuhl benötigt.
Migräne/Trigeminusneuralgie/Cluster ist nicht so schlimm wie im Rollstuhl zu sitzen?!
Es gab schon viele Phasen, in denen ich mir meine Beine hätte amputieren lassen, wenn dadurch garantiert wäre, nicht mehr diese dauernden Schmerzen ertragen zu müssen. Leider gibt es keine Trigeminusschmerz-Teststation. Ich würde sonst jeden Schmerzfreien herzlich einladen, einen Tag mit diesem heftigsten Schmerz, den Menschen haben können, durchzustehen. Die meisten, die zufällig mal eine abgeschwächte Variante “genießen” durften, mailten mir sofort: Ich wollte nur noch sterben, damit das aufhört. Wie hälst Du das seit Jahren aus?!
Kopfschmerzerkrankungen rangieren inzwischen weltweit auf Platz 3 der am Meisten behindernden Erkrankungen. Für viele Kopfschmerz-Patienten verschlimmern meteorologische Umstände ihre ohnehin vorhandene Krankheit. Wie bei vielen anderen Krankheiten auch. Als Gesunder könnte man auch einfach mal so richtig schweinedankbar sein, daß man selber nicht unter dem Klima leidet. Anstatt Kranken ihr Erleben auszureden.
Klima ist nicht nur Temperatur. Schlechtes Klima ist auch Schwüle, hohe Luftfeuchtigkeit, viele Wetterwechsel oder diese ständigen Gewitterfronten. Von dreckiger Luft ganz zu schweigen.
Selbst jetzt im Dezember sind Atemnot und Kopfschmerzen schon fünf Minuten nach der Landung in Düsseldorf wieder da. Und das, obwohl ich mir jedes Mal vornehme, das nicht zu bemerken, weil ich es nicht WILL Weil ich elf Jahre auf ein Wunder hoffte. Interessierte meinen Körper leider herzlich wenig.
Wir Menschen machen rund 20.000 Atemzüge pro Tag. Wenn man 20.000 mal halb so viel Sauerstoff erhält, wie man benötigen würde, kommt ein sowieso bereits angeschlagenes System eben komplett zum Erliegen.
In Düsseldorf kann ich mit Mühe bis zur Brust atmen.
In Hamburg bis zum Bauchnabel..
Und in Stockholm bis in die Unterhose.
Dieses Gefühl, wenn der fette Mühlstein auf der Brust einfach verschwindet und kribbelklare Luft die Lungen durchströmt, ist kaum zu toppen. In den letzten Monaten in Schweden mußte ich so wenig Extra-Schmerzmittel nehmen, wie seit der letzten Schwedenzeit nicht mehr.
Plötzlich war noch Leben übrig. Möglichkeit, die Welt überhaupt wahrzunehmen. Und sich nicht nur durch jede einzelne Handlung durchzuquälen. Weil sie erledigt werden muß. Irgendwie. Bis man wieder im Schmerzmitteldämmerzustand versinkt. Und das Leben einfach so vorbeizieht. Draußen hinter den Vorhängen.
Lange habe ich vor einigen Jahren mit einem sehr hilfsbereiten Herrn vom Deutschen Wetterdienst nach einem Klima in Deutschland gesucht, das dem von Stockholm nahe kommt. Leider gibt es keine Ecke, die genauso frisch, trocken, unschwül, wenig wechselhaft und gleichzeitig windarm ist. Das Beste, das ich hier bekommen könnte, wäre die Mecklenburgische Seenplatte.
Nun, sagte ich zu dem netten Herrn, das ist sicher sehr nett dort. Und kontemplativ. Aber so rein mental bin ich doch eher der New York-Typ. Und eine gute Infrastruktur brauche ich auch. Das sah er ein. Und empfahl, es mit Hamburg zu versuchen.
Aktuell ist Hamburg für mich (noch) ein Kompromiß. Zwischen zwei mir sehr am Herzen liegenden “Heimaten”. Denn bisher kenne ich Hamburg nur von gelegentlichen Besuchen und einer hochsommerlichen Probeatmen-Woche. Die positiv genug ausfiel, um es zu wagen.
Hamburg ist meine Chance, in Deutschland zu bleiben. Mit unserem tollen Gesundheitssystem. Und unserer für mich angenehmen Mentalität. Und um dem Kompromiß eine Chance zu geben, habe ich in Stockholm nun schweren Herzens erst einmal meine Zelte abgebrochen und bin wieder on the road. Noch kurz zwischengeparkt in Düsseldorf. Und dann geht’s auf zum Probeleben an die Elbe. Ich freue mich darauf!
Möge das Atmen bis zum Bauchnabel ausreichen. Und Liebe auf den zweiten Blick soll ja auch nicht so schlecht sein.