WARUM fragt niemand, was der erschossene Austauschschüler in einer fremden Garage zu suchen hatte?


Inzwischen las ich diverse Berichte über den Tod des deutschen Austauschschülers Diren in Missoula (Montana, USA).

Für seine Familie und Freunde ein unendlich schmerzhafter Verlust.
Mein Beileid gilt allen, die ihn vermissen!

Wir wissen nicht, was im Verlauf der Gerichtsverhandlung noch über beide Beteiligte an die Oberfläche dringt .

Dennoch kommt mir in der Berichterstattung, die sich vor allem empört mit der Tatsache beschäftigt, daß der wild Schießende – auf Basis eines gütligen Gesetzes – vielleicht straffrei ausgeht, die Frage zu kurz, was der junge Mann in der fremden Garage zu suchen hatte.

Sogar ausgerüstet mit einer Taschenlampe, wie das Bild der Überwachungskamera zeigt.
Also nicht zufällig im Dunkeln beim Spaziergang hineingestolpert.

Fremdes Eigentum ist fremdes Eigentum.
Niemand hat ungebeten in fremde Wohnungen, Gärten oder Garagen einzudringen.
Das sollten doch gerade wir Deutschen mit unserer Vorliebe für Gartenzäune verstehen.

Deshalb ist es für mich auch irrelevant, ob die Garage bewußt offen gelassen wurde, um den schon zweimal in drei Wochen aufgelaufenen Einbrechern eine Falle zu stellen.

Das Unrecht begann meiner Ansicht nach nicht erst mit den Schüssen, sondern mit dem Betreten der Garage eines Fremden.
Was ich bisher in der Presse gelesen habe, konzentriert sich aber ausschließlich auf den Einbrecher als Opfer eines Schießwütigen, nicht gleichzeitig auch als Täter, der eine Reaktion provoziert hat.

Weiß nicht jeder – allein schon aus Fernsehserien – , daß in den USA locker mit Waffen hantiert wird?
Auch durch Normalmenschen und nicht nur im Rahmen eines Verbrechens.

Offenbar nicht.
„Ich habe mir nicht eine Nacht darüber Gedanken gemacht, dass hier jeder jemanden erschießen kann, nur weil er in seinen Garten gekommen ist.” wird der Vater zitiert.

In den USA sind ca. 300.000.000 Waffen in Privatbesitz.
Laut einer Studie des Gallup-Instituts leben 47% der Bewohner in einem Haushalt mit Waffen.

Wer sie besitzt, wendet sie im Notfall auch an.
Und einen Notfall definiert jeder anders.

Darüber kann man sich durchaus mal Gedanken machen.

Während meiner Zeit als Austauschschülerin in Kalifornien erlebte ich, wie meine babysittende Gastschwester von der Polizei angehalten wurde.
Der Polizist wollte kontrollieren, ob sie das sie begleitende Kleinkind nicht vielleicht entführt hatte und stellte sie “Hands up” rufend, brachial breitbeinig ans Auto, wie man es nur aus Filmen kennt.

Für sie war das Vorgehen relativ normal, denn es besteht immer die Möglichkeit, daß jemand bewaffnet ist.
Ich dagegen stand unter Schock und hätte mich ab sofort erst recht keinen Millimeter mehr vom rechtmäßigen Weg entfernt.
Wobei ich mich auch in Deutschland nachts nicht mit einer Taschenlampe in fremden Garagen herumtreibe.

Auch, wenn uns die USA durch ihre meist locker-flockigen Fernsehserien vertraut erscheinen, und wir gerne sämtliche Moden aus dieser Kultur übernehmen: Die Mentalität ist uns nicht näher, als von jedem anderen fernen Land.

Wir sollten uns nicht anmaßen, über Erschießungen in einer Gesellschaft zu richten, deren Waffenkultur unserer diametral entgegengesetzt ist.
Wir können uns nur anmaßen, die Gesetze zu verurteilen, die eine solche Kultur verursachen.
Diese verurteile ich zutiefst – wie vermutlich die meisten von uns.

Das sollten wir dann aber kontinuierlich tun und nicht nur, wenn “einer von uns” dabei gestorben ist.
Denn all die kleinen und erwachsenen Amerikaner, die täglich auf den Strassen Amerikas wegen der Freiheit, Waffen zu tragen, ums Leben kommen, sind genauso viel wert wie “unser” Austauschschüler.

Wer in einer Gesellschaft aufwächst, in der jeder Zugang zu Waffen hat – ab 18 Jahren offiziell, vorher aber in der Praxis auch über Eltern oder Mitschüler – muß damit rechnen, bei einem Angriff tödlich verletzt zu werden. Das verändert natürlich das gesamte Verhalten in Extremsituationen.

In Deutschland dagegen handeln wir uns bei Gefahr seltenst den Tod ein, wachsen also mit einem anderen Grundgefühl auf.

Daß ein 29-jähriger, der zuvor bereits zweimal von Dieben ausgeraubt wurde, beim dritten Mal nicht freundlich in eine dunkle Garage hinein fragt, wer sich dort unrechtmäßig aufhält, halte ich nicht für komplett unverständlich.
(Wobei er anscheinend sogar hineingerufen hat.)

Hätte er sich erst den Personalausweis des Täters reichen lassen sollen, um zu erkennen, ob er bereits 18 Jahre alt ist und damit eigene Waffen tragen darf?
Und würden Einbrecher in den USA nicht auch dann Waffen mitführen, wenn sie noch nicht die Altersgrenze erreicht haben?

Sich zurückzuziehen und die Polizei zu rufen, anstatt blindlings in eine Garage zu feuern, erscheint natürlich besser.
Er gibt allerdings an, dies bei den ersten beiden Einbrüchen ohne Erfolg getan zu haben.

Hinterher ist man immer klüger!
Oder tot.

Wichtig bei der Beurteilung der Waffengesetzgebung sind auch die geographischen Verhältnisse in den USA.
Nicht alle leben in den uns gut bekannten und dicht besiedelten Städten an Ost- und Westküste.

Wer mit Google Maps wahllos in die Landesmitte zoomt, wird feststellen, daß dort vor allem Landschaft ist.
Sehr viel Landschaft.

Bis sich die örtlichen Polizisten in Bewegung gesetzt haben, ist man im Zweifelsfall bereits über die Wupper gegangen.
Oder die Diebe über alle Berge.

Vermutlich ist so die “Castle Doctrine” entstanden, welche in vielen Bundesstaaten die Ausübung auch von tötlicher Gewalt gegenüber Eindringlingen auf dem Grundstück rechtlich untermauert. Auch ohne, einen Fluchtversuch zu unternehmen oder die Polizei zu verständigen.

So lange dieses Gesetz geltendes Recht darstellt, wird der Finger bei vielen Schießwütigen lockerer am Abzug sitzen.
Es gälte also das Gesetz abzuschaffen oder zumindest zu modifizieren.

Doch die Waffenlobby in den USA ist so übermächtig, daß auch der tragische Tod vom jungen Diren vermutlich wenig an den bestehenden Gesetzen ändern wird

Ich wünsche es mir trotzdem!

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P.S. Es scheint, daß der ein oder andere meinen Text mißversteht..
Nein, ich bin nicht der Ansicht, daß Menschen, die in fremden Garagen wühlen, erschossen gehören!
Ich bin lediglich gegen die eindimensionale Darstellung komplexer Sachverhalte.