Wäre Vanille Chai, hieße es Chai

Eigentlich wollte ich gestern den zweiten Teil meiner Renovierungs-Story
schreiben.
Dann ging ich mit einer Freundin Tee trinken und erhielt brandaktuelles Blog-Material.
Wenn man von den Nerven absieht, gratis.

Wir betreten ein attraktives Restaurant/Bar/Café, in dem ich mich
bisher immer sehr wohl gefühlt hatte.

Noch bevor wir die Karte lesen können, steht die Kellnerin neben uns.
Meine Freundin bestellt ihren Milchkaffee und ich hätte gerne einen Rooibos-Vanille-Tee.
Sie nickt und zieht von dannen.

“Das Mädel wirkt etwas zickig”, meint meine Freundin.

Ich freu mich auf meinen Tee und unsere Plauderstündchen.
Schwups, steht er auch schon vor mir.
Ein Hauch von Indien belämmert meine Nase.
Es riecht wie ein halber Gewürzladen.
Würde ich den Geschmack mögen, ich tränke ihn, auch wenn er nicht der
Bestellung entspricht.
Dummerweise mag ich ihn nicht.
“Entschuldigung”, sage ich zu der Bedienung, “ich glaube, Ihr
Kollege hat den falschen Tee erwischt.”
“Nein”, schießt sie zurück. “Das ist Vanille.”
“Möchten Sie mal dran riechen?”
“Das ist Vanille.”
Wenn Blicke töten könnten, würde ich jetzt mit samt dem Chai-Tee
umfallen.
Ich bleibe aber sitzen und hab Theater an der Backe.
Genauso habe ich mir den Nachmittag vorgestellt.
“Wenn Sie Vanille-Tee natürlich nicht mögen… “, schnippt sie weiter.
Den Satz läßt sie in der Luft, als hätte ich mich gerade bei Hermès
über eine geschenkte Birkin Bag mokiert.

Während sie augenverdrehend zurück zur Theke stöckelt,
kommt mir die Version einer adäquaten Reaktion von Servicemitarbeitern
in den Kopf.
Normal kenne ich den Fall so: “Oh, tut mir leid, ich bringe Ihnen sofort
einen neuen Tee.”

Kann doch immer mal passieren.

Wir reden hier über etwas heißes Wasser und ein paar Teekrümel.
Muß man dafür das ganze Renommée eines netten Lokals ruinieren?

Offenbar schon.

Ich stehe auf und bringe meinen Tee selbst zur Theke.
Der Mitarbeiter dort ist augenscheinlich schon auf die blöde Bratze vom
Fenstertisch vorbereitet.

Er schaut mich an, als hätte ich ihn drei Monate meine Schuhe wienern
lassen.
Ohne sie auszuziehen.

Wenigstens bietet er mir einen Ersatztee an.

“Haben Sie Grünen Tee?”
“Ja.”
“Ist der ohne Aroma?”.
“Ja”.

Fein.
Jetzt sind wir wieder im Geschäft.

Zurück am Tisch schaue ich in die Getränke-Karte.
Rooibos Vanille gibt es gar nicht.

Dick prangt dort Chai Rooibos.
Chaaaahaiiii.

Kurze Zeit später knallt mir Madame meinen Grünen Tee auf den Tisch.
Bevor sie abdrehen kann, bitte ich sie, einen Blick in die Karte zu
werfen.

“Da!”, ihr Finger piekst auf Chai Rooibos.
“Das ist Vanille.”

Was soll man auf diese treffsichere Diagnose entgegnen?

“Auf der Packung steht Vanille drauf.”, legt sie nach.

Das kann gut sein.
Auf der Packung steht aber garantiert auch Zimt, Ingwer, Nelken,
Pfeffer und Kardamom drauf.
Weil das die Inhaltsangaben von Chai-Tee sind.

Ich möchte mal einen Russen erleben, der sich einen Wodka bestellt und
die Tante kommt mit einer Bloody Mary zurück.
Ist ja auch Wodka drin.
Gut, ein ordentlicher Russe würde das Problem vermutlich schneller
lösen, als ich.

Ich denke kurz an meine Freundinnen mit ihren Kindergartenkindern und versuche es nochmal anders herum.

“Vielleicht ist in Chai AUCH Vanille. Aber Sie können mir doch nicht
einen Chai-Tee als Vanille-Tee verkaufen.”
“Ich kenne mich mit Tee nicht aus.”
“Aber ich.”
Jetzt stieren wir beide giftig.

“Wenn Sie solche Sonderwünsche haben….”, zickt sie wieder los und ich
werde
fast unter einem Kilo abplatzender Wimperntusche begraben. 

“Wir sind schließlich kein Teeladen.”

“Chai IST Vanille”,
wiederholt sie ihr Tages-Mantra.
Und das ist meine Faust, geht mir durch den Kopf.
Aber leider sind wir nicht im wilden, sondern im moderaten Westen.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie symbiotisch mangelnde Intelligenz
und Dreistigkeit auftreten.
Obwohl: Vielleicht ist das gar nicht erstaunlich.
Vielleicht kann man nur so dreist völlig unlogische Behauptungen
verteidigen, wenn man gar nicht in der Lage ist, einzuschätzen, wie
obskur diese wirken.

Sie rauscht ab und ich tunke mein neues Teesieb ins heiße Wasser.
Chinarestaurant-Odeur steigt auf.

“Jasmin?” wundert sich meine Freundin. “Magst Du den? Ich ja nicht.”
Ne, sage ich, ich auch nicht.

So viel zum Grünen Tee ohne Aroma.


Wenn ein Kunde schon die
erste Lieferung bemängelt, wäre es eine Idee, ganz kurz die Nase in die
nächste Teedose zu halten, bevor man erneut einen Falschen serviert.
Oder nachzudenken, ob man überhaupt Grünen Tee ohne Aroma auf der Karte
hat.

Ich könnte ihn jetzt einfach wortlos stehenlassen, alles bezahlen und
nie
mehr dort hingehen.

Dummerweise hab ich aber bereits angefangen, mich zu ärgern.
Ziemlich zu ärgern.

Es gibt wenig, über das ich mich wirklich aufrege.
Schlechter Service steht allerdings ganz oben auf der Liste.

Unverschämter schlechter Service gibt Extra-Coins.

Und ich weiß, ich werde mich noch viel mehr ärgern, wenn ich mal wieder
“die Klügere gibt nach” spiele.


Also bringe ich den Jasmin-Tee ebenfalls
zur Theke und ordere mit einem “Ein falsches Wort und der Laden hier
fliegt in die Luft”-Blick die Rechnung.
Abzüglich der Tee-Versuche, versteht sich.

“Geh’ Du kassieren”, sagt das Mädel zum Theken-Mitarbeiter, als ich
abdrehe.
Es ist doch nicht zu fassen.
Erst eine Klappe bis Kiruna und dann nicht die Cojones, dafür gerade
zu
stehen.

Der Kollege kommt und quält sich noch ein “Tut mir leid für das
Mißverständnis” heraus.
M-I-S-S-V-E-R-S-T-Ä-N-D-N-I-S??
Meine Freundin wirft mir einen sedierenden Blick zu und ich veratme eine Überdosis Adrenalin.


Wir verlassen das Café
und marschieren eine Lokalität weiter.
Auch, wenn der Names es vermuten läßt: Hier werden wir nicht gegeisselt.
Im Gegenteil.

Auf der Karte steht Rooibos Vanille.
Wir lachen laut auf.

Soll ich es wagen?
Ich mache es.

Und keine drei Minuten später steht ein goldiger Vanille-Rooibos-Tee vor mir.
Ganz ohne Chai.

P.S. Die Renovierungsstory geht weiter! Versprochen!