Die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung (2/4)

Es soll nun eine Stelle geben, bei der Patienten innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin erhalten. Ich rufe bei meiner Krankenkasse an.
Person 1 weiß nix, verbindet mich mit Nr. 2.
Nr. 2 hat mal davon gehört und fragt Nr. 3.
Nr. 3 sagt, das wäre bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Ich erhalte eine Nummer. Nr. 1 bei der KV sagt, das wäre sie nicht, gibt mir aber die richtige Nummer. Bei der richtigen Nummer lande ich in der Warteschleife. Nach zehn Minuten verliere ich die Geduld und beginne, parallel zu kochen.
Dann esse ich parallel.

Nach locker einer halben Stunde, ist eine junge Frau am Apparat. (Krass, nun bin ich schon in dem Alter, in dem man alles, was nicht rollatiert, junge Frau nennt.)

Ich erzähle, daß ich aufgrund schwerer Erkrankungen nicht sonderlich mobil bin und bitte, zu schauen, daß ich nicht in einen entfernten Vorort muß.
Sie müssen aber nehmen, was sie kriegen, sagt sie ungerührt.
Das werde ich ihr mal auf die Nase binden, wenn sie 39 ist und ihr Kinderwunsch lodert.

Sie könnten es aber doch bitte versuchen, sage ich.
Gott, wie ich das hasse, mich nonstop vor jungen, unempathischen Mädels (sind halt immer Mädels) demutsvoll verhalten zu müssen.

Sie schweigt.

Montag in zwei Wochen 11.00 bei Dr. XY.
Suuuper!
Gott, wie ich mich freue. Ein Termin, ein Termin.
Vielen Dank!
Wie ist denn Ihr Code?
Mein was?
Ihr Dringlichkeitscode.
Ähem.. Brauche ich den?
Natürlich.

So natürlich finde ich das gar nicht. Ich wache nicht morgens auf und denke: Yeah, heute mal vier Dringlichkeitscodes. Gegoogelt habe ich auch nicht vorher.

Einmal im Leben wollte ich etwas erledigen, ohne vorher ein Internet-Studium zu absolvieren.

 

Klappt ja hervorragend.

Ich lerne: ohne Dringlichkeitscode kein Termin. Ohne Hausarzt, der diesen erzeugt und in eine Überweisung hämmert, kein Dringlichkeitscode. Ganze Aktion und Warteschleife für ümme. Könnte mal gepflegt in die Ecke..

Wir legen auf. Ich hab keinen Bock mehr. Rufe trotzdem bei der Hausärztin an.
„Sie rufen außerhalb unserer Sprechzeiten an. Diese sind… „
Stimmt. Wir haben Mittwoch.

Donnerstag morgen.
Ich rufe bei der Hausärztin an. Nein, soo schnell ginge das nicht. Ich solle nachmittags wieder anrufen.
Postit Nr. 45 wandert neben die 44 anderen, die mich daran erinnern irgendwann bei irgendwem dieses oder jenes zu erflehen.

Nachmittags ist erst ewig besetzt, dann geht niemand dran. Irgendwann habe ich die Dame wieder. Sie diktiert mir ellenlange Codes. Die neuen Überweisungen kommen per Post. Nächste Woche. Irgendwann.

Ich rufe wieder bei der KV an. Sie haben schon Feierabend. Ich nicht. Chroniker haben immer 25 Anträge und Widersprüche auf dem Tisch, um die sie sich kümmern müssen, wenn gerade keine Anrufschlangen warten.

Freitag.
Wieder KV. Warteschlange nur rund 15 Minuten.

Haben sich wohl schon fast alle erhängt, die es seit Montag versuchen.

 

Fangen wir mit dem Wichtigsten an: Dem Neurologen.

Kürzlich war ich bei einem Neurologen. Fünf Monate hatte ich auf den Termin bei ihm gewartet. Dann fühlte er sich nicht berufen, meine Notfall-Medikamente zu verschreiben. Er war nämlich nicht Neurologe-Schrägstrich-Psychiater. Die Notfall-Medikamente bekomme ich zwar nicht aus psychiatrischen Gründen, aber es sind ursprünglich psychiatrische Medikamente. Und die darf dann nur ein Schrägstrich-Psychiater verschreiben.

Ich bitte, einen Neurologen-Schrägstrich-Psychiater zu suchen, damit ich auf Dauer nicht zwei verschiedene Ärzte aufsuchen muß.

Aber bei Ihnen auf der Überweisung steht nur Neurologe?
Ja.
Dann suche ich auch nur einen Neurologen.

Ich beiße in den neuen Schreibtisch.


Das ist doch irrelevant. Auf der Überweisung steht ja auch nicht: Patientin darf nicht zu einem Neurologen-Schrägstrich-Psychiater gehen. Wenn Sie zu einem Orthopäden gehen und der ist parallel Osteopath, dann ist der doch trotzdem noch Orthopäde.

Sie schweigt.

Ich atme in den Bauch.
Ein.
Aus.

Ich übe mich in Autosuggestion.

 

Ich bin ein ruhiger Fluß und gleite durchs Leben.
Klappt.
Erhalte einen Termin. Bei einem Neurologen-Schrägstrich-Psychiater. Worüber man sich halt so freut im Leben.
Andere kaufen sich Schuhe.

Nächster Arzt.

Ich diktiere den Code.
Der ist falsch, sagt die junge Frau.
Ich diktiere ihn mit diesem Wortgedönsalphabet. …D wie Dora. X wie Xylophon.
Der ist falsch, sagt die junge Frau hörbar genervt.

Ich zweifel kurz an meinem Verstand. Besonders konzentriert bin ich generell nicht mehr mit meinen Krankheiten und zig Medikamenten.
Bitte könnten Sie mal kurz vorlesen, was Sie eingetippt haben?
…und DZ. 

Da haben wir es: DX. Xylophon.

Vielleicht hätte ich besser Xavier Naidoo gesagt, ich Omma.

 

Wer kennt schon ein Xylophon in dem Alter.

Sie hat einen Termin. In einem Vorort. Ich sage dazu nix. Zu dem Facharzt muß ich hoffentlich eh nicht oft, da kann ich auch mal die Energie von zwei Tagen für investieren.

Noch einer? 
Ja, noch einer.
Sie schnaubt.

Ist immer super, wenn kerngesunde Menschen denken, man tingele zu den Fachärzten, nur um sie zu nerven.

Arzttermin 3: in zwei Wochen, 8.15 Uhr.

Oh je, oh je. Das ist utopisch. Morgens ist meine schlimmste Zeit. Da schaff ich höchsten von Bett zu Sofa zu schlurfen. Und zurück. Sonst nichts. Nachts könnte ich super Arzttermine absolvieren. Auch mit Migräne. Aber morgens ist bei vielen Mastozytose-Patienten absolut rein gar nichts zu holen.

Würde man mir eine Reise zu meinem Traumziel New England schenken mit Chauffeur vor Ort und Privatkoch und die würde morgens um 8 starten: Ich wäre nicht dabei.

Entschuldigung, sage ich, ich würde den echt gerne nehmen, aber ich bin krankheitsbedingt früh morgens absolut nicht in der Lage, irgendwo hin zu fahren. Selbst wenn ich ein Taxi quer durch Hamburg zahlte und darin frühstückte..Wenn ich zusammenklappe und das wird bei der Brachialaktion nach 3-4 Stunden Schlaf passieren, habe ich niemanden, der für mich agiert.

Sie müssen nehmen, was Sie bekommen.

Nun platzt mir aber langsam der Kragen. Ich bin 100% schwerbehindert. Nicht aus Spaß, sondern weil meine Krankheiten mich so massiv im Alltag behindern.

Ich lieg nicht hier morgens im Bett, schaukel mir die Eierstöcke und denk: Nöö, bevor ich nicht in Ruhe geschminkt und onduliert bin, gehe ich nirgendwo hin.
ES. GEHT. NICHT.

Würden Sie das auch einem Rollstuhlfahrer sagen, wenn der Termin im 4. Stock ohne Fahrstuhl ist?
Was?
Daß er den Termin wahrnehmen muß, egal ob er da hoch kommt oder nicht.

Ihre Antwort kenne ich leider nicht. Da war das Gespräch dann nämlich weg. Danach war besetzt. Und irgendwann hatte ich die Nase voll.

3 Tage Ackerei.
3 Tage, an denen alles andere im Haushalt brach lag und aufgeholt werden mußte.
Seit 20 Jahren verpulvere ich schon meine nicht vorhandene Energie mit den Fallstricken des Gesundheitssystems.

Aber ich habe schon mal zwei Termine. Im Großraum Hamburg.
Immerhin.

Hier kannst Du alle Teile meiner 9-monatigen Jagd auf einen Termin bei einem Neurologen in Hamburg lesen:

Teil 1: Chronisch krank? Ein Fulltime-Job! Beispiel: Arzttermine

Teil 2: Die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung (KV)

Teil 3: Facharzt-Termin: Neurologe, Suchmonat 9

Teil 4: Mit ärztlichem Empfehlungsschreiben zum Facharzt-Termin?!