Notizen aus dem Krankenhaus (2)

Viel Zeit, mir die suboptimale Farbkombination der Zugänge an meinem Arm anzusehen und eine Petition für Pink und Kiwi zu formulieren, bleibt mir nicht.

Der Trigeminusnervenschmerz betritt die Bühne..
Der hat hier zwar eigentlich nichts zu suchen, bemüßigt sich aber zu jeder außergewöhnlichen Aktivität.

So eine Art Roter-Teppich-Luder.
Und genauso brutal nackt.

Narkosen liebt er besonders.
Da blüht er auf.

Millimeter für Millimeter bohrt sich der Dolch ins rechte Auge, schraubt sich langsam durch den Augapfel und reißt das Fleisch auf.

Ein Piranha setzt nach, frißt sich hoch zur Augenbraue, kaut genüßlich am Fleisch der Schläfe und haut seine spitzen Zähne mit Anlauf in den Oberkiefer.
Das Gesicht kocht und ich auch.

Minuten werden zu Jahren.

Und ich?
Bin trotz bereits rund 4.000 überstandener Schmerztage immer wieder überrascht, wie heftig dieser Gesichtsnervenschmerz sein kann.

Mütter, die auch Trigeminusnervenschmerzen haben, sagen, die Geburt ihrer Kinder war im Vergleich ein Klacks.

Wehen kann ich nicht beurteilen.
Aber alles andere, das bisher an Körperteilen gebrochen ist oder abgerissen, operiert, punktiert oder sonstwie malträtiert wurde, war dagegen fast albern.

Selbst die abgerissene Bandscheibe, die lustig im Nervenkanal vor sich hin schwamm, wirkte, als würde man beim Tsunami in Kao Lak die Toilettenspülung betätigen.

Der Arzt kommt ins Zimmer, schaut auf meine Rotkäppchen-Wangen und meint, ich sehe ja frisch aus.
Ich würde ihm gerne zeigen, wie frisch ist bin.

Ob ich Schmerzen habe?
Lang nicht so gelacht.

Wie antwortet man, ohne die kochende Mimik im Gesicht zu aktivieren?
Ich mache es mal trotzdem.
Mein Gesichtsnervenschmerz interessiert hier aber nicht.

“Ich meine im OP-Bereich.”
“Im OP-Bereich?”

Den habe ich doch glatt vergessen.
Klar, zieht und brennt es dort.
Das ist aber eher ein Hintergrundrauschen.

Der Arzt verschwindet, die Schmerzen nicht.
30 Stunden werden sich die Piranhas noch durch mein Gesicht fressen.
Auch nach über 16 Jahren und gefühlt Hunderten Präparaten hat keines einen akuten Anfall ausreichend stillen können.

Ich öffne das Fenster und inhaliere die kalte Abendluft.
Hoch genug wäre es ja, denke ich.
In einer Sekunde könnte ich mich aus diesem Elend befreien.

Alternativ bietet ein Aufkleber am Krankenbett sachdienliche Hinweise, um Kopfschmerzen loszuwerden:

Würde ich aber jetzt kapitulieren, wäre das unökonomisch.
Dann hätte ich all die Jahre ganz umsonst durchgestanden.

Tausende verlorene Tage, in denen ich hätte leben können und nicht nur leiden.
Die wären für die Katz gewesen.
Und einer Katz gönne ich allgemein nicht viel.

Also lasse ich es mal wieder, schließe das Fenster und hoffe, daß es morgen besser wird.
Oder übermorgen.

Irgendwann hört jeder Schmerz auf.
Auch, wenn es oft nur für zwei Tage ist.

Und dann ist alles wunderbar!
Jede Minute wird zum Fest.

Eigentlich müßte ich dem ganzen Theater dankbar sein.
Die wenigsten freuen sich vermutlich so sehr über.. nichts.

Es gibt kaum ein schöneres Gefühl, als aufzuwachen und den Dolch im Auge nicht mehr wahrzunehmen.
Doch, eines gibt es schon.
Aber das macht ja auch vorher schon Späßken.. 😉

P.S. Inzwischen bin ich längst wieder zuhause und erinnere: Platz 3 auf der Glücksliste ist definitiv das eigene Bett.