Notizen aus dem Krankenhaus (1)

Kürzlich habe ich mein Operations-Dutzend gefüllt.
Wäre ja auch langweilig, sich ausschließlich mit den bestehenden 638.000 Beschwerlichkeiten herumzuschlagen.
Ab und zu ein neues Gesundheitsthema hält einen medizinisch auf dem Laufenden.

Ich überlege, mich demnächst als Landärztin zu bewerben.
Die Basisversorgung bekäme ich inzwischen locker hin.
Zu jedem Bereich könnte ich etwas aus eigener Erfahrung beitragen.

Aber zurück zum letzten Einsatz.

Was mache ich um halb Acht auf einem Acker?
M-O-R-G-E-N-S.

Ich schaue anderen dabei zu, wie sie ihren Hund Gassi führen und überlege, zu fliehen.
Das würde ich vielleicht sogar tun, wenn ich nicht nüchtern wäre.
Morgens um halb acht, seit 5.30 auf und nüchtern ist aber eine Kombination, in der ich nicht weit komme.

Als gehe ich wieder zurück in das Krankenhaus, in dem ich gleich operiert werde.
In dem ich jetzt noch einige Stunden herumsitzen und meine Angstzustände kultivieren darf, bis ich dran bin.

Nüchtern.
Wo ich doch nüchtern so gut drauf bin.

¨Ziehen sie doch schon mal ihr OP-Hemdchen an¨, sagt die nette Krankenschwester.
¨Ich denke, ich bin erst in 3h dran?¨
¨Ja, aber dann haben Sie das schon mal gemacht?¨
Und was mache ich dann die restlichen 2h und 57 Minuten?

Ich ziehe mein OP-Hemdchen erst mal nicht an.
Schlimm genug, daß man all seine Selbstbestimmung an der Krankenhauspforte abgibt.
Im OP-Hemdchen mit unten ohne ist auch noch die letzte Würde weg.

Ich halte das für psychologische Kriegsführung. Wer kann schon eloquent gegenargumentieren in einem OP-Hemdchen, das für Leute entworfen wurde, die um die entscheidenden 10cm kürzer sind, als man selbst.

Ich habe Durst.
Am Tag trinke ich locker vier Liter Wasser und Tee.
Für jemanden, der das Haus nie, aber wirklich niehie ohne eine Wasserflasche in der Tasche verläßt, sind mehrere Stunden ohne einen einzigen Tropfen Wasser eine Tortur.
Kurz überlege ich, zu pfuschen, beherrsche mich aber in letzter Minute nochmal.

Zum Gück bin ich abgelenkt.
Im 2-Minuten-Takt kommen nette Menschen und möchten irgendwas.
Mein Blut.
Meinen Puls.
Meine Speisewünsche.

¨Was dürfen Sie denn nicht essen?¨
Ïch glaube, es ist einfacher, Sie bestellen mir Kartoffeln mit gedünstetem Gemüse ohne Sauce und Würze, bevor ich hier alles aufzähle, das ich nicht essen kann.¨
¨Ne, sagen Sie doch mal..¨
¨Ne, ehrlich..¨
¨Doch, wir machen das..¨
Ich beginne, aufzuzählen.
¨Was sollten wir nochmal einfachheithalber bringen?¨

So vergeht die Zeit dann doch.

Eine Krankenschwester kommt mit Dormicum, dem Duselmachmedikament vor einer OP.
Es ist flüssig.
Ganz schlecht.
Normalerweise lasse ich die Tablette nämlich irgendwo verschwinden.

Ich will entweder bei klarem Verstand sein oder komplett ausgeknockt.
Alles dazwischen finde ich gruselig.
Ob sie mich von einer der elf anderen OPs kennt?
Zumindest bleibt sie neben mir stehen, bis ich das Zeug geschluckt habe.

Dann kommt der Teil, den ich nicht mehr ertragen kann: im Bett liegend quer durch ein Krankenhaus gefahren zu werden.
Immer dieselben Bilder.
Viel zu viele Erinnerungen.

Deckenplatte, Neonröhre, Platte, Röhre, Fahrstuhl, Platte, Röhre, Platte, Röhre
Immer schneller.
Und am Ende kopfüber in die Grüne-Kacheln-Welt.

Grün soll ja beruhigen.
Natürlich beruhigt Grün.
Mich auch.
Aber nur außerhalb von Krankenhäusern.

Innerhalb löst Grün ein gellendes “Ich will hier raus!” aus.
Grün gewandete Mundschutzsäusler, die sich über mich beugen.

Zähe Zeiten, in denen ich halbbeduselt vor irgendeinem OP herumliege, während schnelle Gummischritte an mir vorbeihasten, OP-Besteck klappert, der Puls in meinen Ohren rast und der Atem nur noch flach geht, als könnte er das Unheil dadurch verhindern.

Dann bin ich weg.

Dann bin ich da.

Ich schaue nach links und nach rechts.
Wie Hühner auf der Stange liegen drei andere und ich im Aufwachraum nebeneinander.

¨Herbert, Herbert¨, nötigt eine dralle Damen den narkotisierten Herrn neben mir ins Dasein zurück.
Ich frage mich, wie sie sich in den Raum geschmuggelt hat.
Und ob Herbert sich totstellt.

Mir wird etwas übel und ich möchte das Kopfteil einen Hauch höher stellen.
Ich hangel nach dem Griff.
Rumms, sitze ich im 90 Grad-Winkel im Bett.
So war das nicht gedacht.

Die Schwester kommt, um mich zu retten, aber das Bett mag nicht mehr zurück.
Zum Sitzen bin ich noch zu narkotisiert.
Langsam rutsche ich auf das verbleibende Stückchen Bett runter.

Dort liege ich dann eingekrümelt wie ein Z.
183cm auf 100cm.

Der Narkosearzt kommt rein und fragt das Z ungerührt, wie es geht.
Eigentlich gut, sagt das Z.
Dann holen sie ein neues Bett und strecken das Z wieder auf ein I aus.

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