Es gibt Momente, in denen ich mich frage, ob das immer alles klug ist, was ich mir ausdenke.
Heute ist wieder so ein Moment.
Ich werde aufbrechen in den Norden, mein mobiles Büro im Gepäck, mein Kopfkissen, viele Langarmshirts und auch einige kurze und eine leichte Lektüre über einen Mann, der mit seiner Familie nach Schweden auswanderte.
Nun wandere ich nicht aus, aber wenn ich mir mein Gepäck so ansehe, könnte man es durchaus meinen.
Ich nehme mir vor, bei Gelegenheit mal mit Bill und Steve zu sprechen, warum es bisher kein klamotten.zip gibt und greife meine Wohnungsschlüssel.
Ein letzter Blick in meine drei hellen Zimmer, auf mein geliebtes Balkon-Blumen-Paradies und dann gibt es kein Zurück mehr.
Ich habe einen starken Taxifahrer bestellt, der meinen Übersee-Original-Alu-ich-hänge-so-an-Retro-Rimowa die Treppe hinuntertragen kann.
Beim letzten Mal schickten sie jemanden mit Rücken.
Ich öffne die Tür und sehe nichts.
Dann schaue ich hinunter und entdecke doch noch einen Mann auf meiner Fußmatte.
Ich blicke auf ihn und auf den Koffer.
Gleich groß.
Fängt ja gut an.
Am Flughafen gibt es zwei weitere Probleme zu lösen: massiv zu viel Gepäck und der Flieger ist überbucht. Zum ersten Mal habe ich selbst eine Buchung und fliege nicht standby.
Aus Dankbarkeit für diese weise Entscheidung rutsche ich die letzten Meter bis zum Zubringerbus auf Knien.
Nein, um ehrlich zu sein nur, damit ich nicht angesprochen werde, gegen Geld über München zu fliegen.
DBC (Denied Boarding Compensation) nennt sich der Prozeß und Gott sei Dank wird nicht die auswandernde Lufthanseatin aus dem Verkehr gezogen, sondern es meldet sich ein Freiwilliger.
Auf dem Flug habe ich Zeit, mir Gedanken zu machen, ob es klug ist, zu einem wildfremden Mann ins Auto zu steigen.
Als Fatalistin konstatiere ich in Kürze, daß mein Vermieter mich bei Bedarf auch bei der Wohnungsübergabe überfallen könnte.
Was eigentlich auch praktischer ist.
Dann kommt es auf das Gleiche hinaus, nur daß ich bei der vermeintlich sicheren Variante vorher noch 9000kg Gepäck über diverse Verkehrsmittel bis in die Wohnung gezerrt hätte.
Ich beschließe, lieber nicht transpirierend zu verscheiden und verlasse todesmutig den Baggage Claim.
Die erste Begegnung mit meinem Vermieter
Mein Vermieter arbeitet in leitender Position beim schwedischen Militär.
Ich blicke suchend in die Runde der Abholer.
Kein seriöser Anzugträger mit Stock im Sonstwo weit und breit.
Da stürzt ein blonder Mittfünfziger mit gelverwuschelten Haaren, ausgebleichter 80er-Jeans und Stones-T-Shirt auf mich zu.
Mit Pailletten!
“Pia?” fragt er.
Ja, sage ich.
Und „Oh je“, denke ich.
Da fliehe ich aus Düsseldorf und auf was treffe ich in Stockholm als Erstes: Pailletten.
Nun gut.
Im Auto quatschen wir entspannt über das Leben im Allgemeinen und Besonderen.
Kurz vor Kungsholmen fragt er mich, wie viele Jahre ich schon in Schweden gelebt habe.
“Nicht wirklich”, sage ich.
Und woher ich so gut Schwedisch sprechen könne?
Ich erwähne die zwei Sprachkurse Ende der Neunziger.
Ein Monat Malmö, später einer in Stockholm.
“Das war alles?”, kreischt er förmlich (für schwedische Verhältnisse).
Die Reaktion bin ich gewohnt.
Ich weiß auch nicht, warum mir Schwedisch so leicht fällt.
Zwei Jahre habe ich kürzlich versucht, Spanisch zu lernen.
Ich mochte die Sprache schon vorher nicht.
Es war eine pragmatische Entscheidung – für eine Südamerika-Reise in ausgesprochen ferner Zukunft.
Eine Reisesprachversicherung sozusagen.
Zwei Jahre fast für die Katz:
Vokabeln, Grammatik, alles glitt an mir ab wie an Teflon.
Schwedische Worte aber tätowieren sich förmlich in mein Gehirn.
Vielleicht war ich im früheren Leben eine Linnea Lindström?
Nette Vorstellung.
Dann sind wir da.
Die Spannung steigt.
Mein neues Zuhause, die kleine Etta
Das, was ich gleich zu sehen bekomme, wird für diverse Wochen mein Zuhause sein.
Ich bin nervös.
Hauptsache die Fenster sind lärmdicht, den Rest kann man umbauen.
Muß man aber nicht: die Etta (Einzimmerwohnung) ist genauso niedlich wie auf den Bildern.
Ich sehe mit einem Blick: hier kann man was draus machen.
Muß man auch, wenn man nicht mehr 20 ist.
Überall, wo ich mich anlehne, bleibe ich kleben.
Seine Tochter ist 22.
Sie putzt auf Sicht.
Das macht man so in dem Alter.
Ich weiß, wovon ich rede.
Je älter man wird, desto mehr wischt man auch, was man nicht sieht.
Manchmal wünschte ich, nicht älter zu sein.
Dann würde ich mich hier sofort aufs Sofa werfen und gut is.
So is nicht gut.
Es steht noch ordentlich Aktivität auf dem Plan.
Wir maschieren zur Tvättstuga.
In Mehrparteienhäusern ersetzt die gemeinsame Waschküche meist das rumpelnde Ding in der eigenen Küche.
An der Wand im Treppenhaus ist ein Display eingelassen (siehe Photo oben).
Mein Vermieter hält den Wohnungschlüssel an ein Lesegerät und PLING öffnet sich ein Bildschirm mit Wochentagen und Zeiten.
Mit “Boka” kann ich eine Zeit auswählen.
Während ich noch beeindruckt an dem Display herumspiele, steht er schon im Hof beim Müllraum.
Gott sei Dank erspart er mir Details zum schwedischen Mülltrennsystem.
Langsam machen sich die zwei Stunden Schlaf bemerkbar…