Ende Mai. Erster heißer Tag. Alle freuen sich und rennen raus. Ich nicht. Ich bleibe in der Wohnung, schlucke eine Migräne-Tablette und seufze. Zweiter Tag: dito.
Sechster Tag – ohne Pause: ich heule meiner Freundin Linda vor, daß jetzt wieder diese verfluchte Jahreszeit namens Sommer kommt.
Gewitter, Schwüle, Wetterwechsel.
Wochen in der Wohnung.
Wochen voller Migräne.
Verschenkte Lebenszeit.
Meine Freundin stellt eine Frage, die so ausnehmend logisch scheint, daß es fast peinlich ist, sie nicht selbst formuliert zu haben:
„Warum ziehst Du mit Deinem Homeoffice nicht eine Weile in Dein geliebtes Stockholm?
Wenn Du alles selbst zahlst, ist es für Deinen Arbeitgeber doch irrelevant, wo Du online arbeitest.“
Eine Homeoffice hat Vor- und Nachteile.
Die Nachteile:
Man ist den ganzen Tag allein.
Allein ist man den ganzen Tag.
Und niemand ist da.
Der Vorteil: wo das WIFI funkt, bin ich zuhause. Zwischen Jokkmokk und Kapstadt könnte ich theoretisch überall arbeiten. Mache ich aber nicht.
Düsseldorf ist mein Zuhause. Und jenseits der 25 findet man den Aufenthalt in fremden Betten meist nur erquickend, wenn dort ein entsprechendes Programm stattfindet.
„Und Du sprichst doch Schwedisch.“, setzt meine Freundin am Telefon nach.
Det gör jag. Sehr zur Erheiterung der Schweden, die sich regelmäßig fragen, warum jemand ihre Weltsprache erlernt.
Natürlich gibt es „nur“ neun Millionen Schweden. Und weil sich die Übersetzung ausländischer Filme in diesem Fall nicht lohnt, versteht zwischen Trelleborg und Kiruna auch jeder Englisch. Aber muß man immer nur lernen, was sich rentiert? Pole-Dance und Makramee-Kenntnisse zieht man auch nicht bei jeder Gelegenheit aus der Tasche.
Nun gibt es “viele Gründe alles beim Alten zu lassen und nur einen, etwas zu ändern: Du hälst es einfach nicht mehr aus”. (H. C. Flemming)
Das Glück ist mit mir, denn der gemeine Schwede empfindet ähnlich wie ich, nur ein paar Grad niedriger. Und so verläßt ein großer Teil der Stadtbewohner in den Ferien die stickige Metropole.
Die einen Richtung stuga, den kleinen roten Sommerhäuschen an einem See, die anderen Richtung südeuropäischer Grillhitze. Die ersten sieht man eine Weile gar nicht, die anderen auf RTL2.
Da der schwedische Sommer als Quickie durchgeht, nehmen die meisten ihren Urlaub en bloc. Im Juli / August schwärmen sie zur Sommerfrische aus und viele vermieten ungerührt ihre Design-Perlen an zahlungswillige Gäste.
Ich beginne eine intensive und leidenschaftliche Beziehung mit der Immoblienseite Blocket.
Mein Traum? Eine sekelskiftets lägenhet (Altbauwohnung) mit kakelugn (Kachelofen) im stilvollen Östermalm.
Angesichts der Miet-Preise in Stockholm prügele ich mich nach einer erfolglosen Suchwoche in realistischere Gefilde
Ich freunde mich damit an, in einer Wohnung zu leben, die halb so groß ist wie meine. Und doppelt so teuer.
Am Ende ergattere ich freundlich aussehende 40qm auf Kungsholmen. Die Kunst liegt in der Beschränkung und ich finde gerne mal wieder heraus, wie beschränkt ich bin.
Und so stürze ich mich frohgemut, aber auch ein wenig nachdenklich auf meine Stockholm-Vorbereitungs-xls-Tabellen.
“Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an.”
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Dieser Text wurde am 1.8.2011 in Zeitungen der Mediengruppe Rheinische Post gedruckt