Das kleine Pingel-Ich und was eine WC-Bürste damit zu tun hat

Verglichen mit meiner Mutter bin ich ein oller Schweinigel.
Verglichen mit 80% aller Menschen, die ich kenne, ein Pingel.

Nun gibt es vermutlich kaum etwas Schlimmeres für einen Pingel, als in anderer Leute Dreck zu leben.
Nur eines ist schlimmer: im Sommer in Deutschland zu leben.
Zumindest für einen Trigeminus-Pingel.

Also versucht der Trigeminus-Pingel seit den ersten Erfahrungen in fremden Wohnungen, das Schlimmste abzuwenden.
“Das ist nicht Dein Ernst?”, höre ich dann gerne mal von Freundinnen, die meine Packstapel für Stockholm betrachten. “Du nimmst kaum was zum Anziehen mit, dafür den halben Haushalt?”
“Yes!”

Als ich den ersten Sommer über nach Stockholm zog, vertraute ich den schönen Fotos von der Wohnung. Alles sah ordentlich, sauber und gut bewohnbar aus.
Dann stand ich in der Wohnung und sah die Details.
Ich sah Dinge, die ich nicht mehr vergaß.
Den ganzen Sommer über.

Eigentlich wollte ich mich sofort ins Bett legen und meine Reisemigräne kurieren.
Das ging aber leider nicht. Die Bettbezüge sahen aus, als hätte jemand im 30-jährigen Krieg damit seine Werkstatt geputzt. Braune Flecken undefinierbarer Provenienz wechselten sich mit Rissen ab.

In Deutschland hätte ich das Ganze schnell durch Waschmaschine und Trockner jagen können, um wenigstens emotional den Eindruck zu bekommen, daß der Restdreck nicht auf meiner Kleidung landet.
In Schweden muß ich Tage im voraus die Waschküche buchen.
Und ich wollte JETZT ins Bett und nicht in vier Tagen.

Entnervt wankte ich in die Küche, um mir einen Tee zu machen.
Zur Beruhigung.

Als Teetrinker geht man ja immer davon aus, daß jeder auf diesem Planeten in seiner Küche einen Wasserkocher bereithält.
Mitnichten.
Das versprach ein umständlicher Sommer zu werden: 3l Tee pro Tag tassenweise auf dem Herd herstellen.

Ich offnete, die Schublade mit den Töpfen.

Ich entschied, mir keinen Tee aus fettigem Wasser mit Teflonpartikeln zuzubereiten.
Gut, dann eben einmal alles durchschrubben und schauen, was danach für den Sommer als verwendbar bewertet werden kann.
Kopf rein in den Putzschrank:

Man KANN mit dreckigen Lappen in dreckiger Spüle Sachen sauberer bekommen, als sie vorher waren. Habe ich mal im Rahmen einer indischen Dokumentation über das Leben am Ganges gelesen.

Nun bin ich aber nicht am Ganges aufgewachsen, sondern im Ruhrpott.
Das mag für manche dasselbe sein.
Für mich nicht.

Inzwischen machte sich bereits ein latentes Kribbeln auf meiner Unterlippe breit.
Genügsam suchte ich ein Glas, um wenigstens Wasser zu trinken.

Am Ende füllte ich mir doch lieber meine Reisewasserflasche nochmal am Kran auf. Dann suchte ich den letzten Hauch von Energie und ging einkaufen.
Ich kaufte einen riesigen, tiefen Pastateller, den man für alles verwenden kann.
Und verwendete ihn fortan für alles. Dreimal täglich.

Ich kaufte je einmal Messer, Gabel und Löffel, Obstmesser, Schneidebrettchen und diverses anderes Küchengedöns. Und ich entschied, daß neu gekaufte, aber leider noch nicht gewaschene Bettwäsche das kleinere Übel ist.
Wie ein Packesel kam ich zurück.

Zuhause stellte ich fest, die WC-Bürste vergessen zu haben.
Das historische Exemplar vor Ort mochte ich nur ungern kontaktieren.
Aber wofür hat Frau immer Kondome dabei?
Richtig: über dem Griff abrollen und schon hat man eine hervorragende Übergangslösung.

Ich putzte mir mit drei Zentner Feuchttüchern Ablageinseln frei und öffnete die Küchenschränke nie wieder in diesem Sommer.
Dann stopfte ich alles, das ich in dieser Wohnung sonst noch ekelig fand, in die anderen Schränke und öffnete diese ebenfalls nie wieder in dem Sommer.

So entdeckte ich die Technik des Insellebens.
Sie hat mir seitdem oft geholfen.
Es gibt Dreck, der über Jahrzehnte gewachsen ist wie Stalagmiten. Würde man diesen komplett entfernen wollen, wäre der Sommer um.

Meine wichtigsten Utensilien, die ich direkt nach der Ankunft benötige, sind also diese:

Zum erstmöglichen Termin wasche ich dann sämtliche Bettbezüge und Laken durch und werfe sie über alles, was ich in den folgenden Wochen nicht sehen will.

In den folgenden Jahren versuchte ich, den Ekelfaktor durch das Anmieten von stylischen Wohnungen an den besten Adressen Stockholms zu reduzieren.
Zum Teil gelang dies.
Aber nur zum Teil.
Erst sieht man “Schöner Wohnen”, dann öffnet man den Bettüberwurf und kommt ins Grübeln, ob man verhüten sollte, um sich dort hinein zu legen.

Grundsätzlich sind die meisten Wohnungen bei meinem Auszug sauberer als vorher. Viele Vermieter waren bei der Übergabe total geflasht.
“Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen!”

Und dafür zahle ich noch Unmengen Geld.
Irgendwas läuft hier falsch!

Vielleicht sollte ich mal einen Service anbieten: Frau E.s Wohnungsauberwohnen.
Ich lebe dort gratis und bastele die Buden verkaufsreif.
Ja, ich glaube, an dem Konzept sollte ich mal ein wenig feilen. Zeit habe ich ja jetzt, wo ich fertig geputzt habe.