Mit Chemikaliensensibilität (MCS) auf der Automeile

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Eigentlich könnte die Lösung für mein plötzliches Mobilitätsproblem ganz einfach sein: Ich kaufe mir einen gebrauchten Smart. Der paßt in jede Parklücke.

Wenn die Känguru-Automatik nicht wäre. Beim jeden Gasgeben bremst das Dingen 3x scharf ab. Immer schön früh hochschalten. Hauptsache Benzin gespart.
Macht von mir bis zur Autobahn 200 heftige Nickbewegungen.
Freut sich mein Bandscheibenvorfall in der HWS.

Der neuste Smart hat das Problem angeblich nicht mehr. Der neuste Smart kostet aber auch 15.000€. Dafür bekomme ich schon ein echtes Auto. Kein Headbanging auf Rädern.

Ich beschäftige mich also erstmals in meinem Leben mit modernen Autos. Fühlt sich an wie Fremdgehen. Was sich da alles getan hat seit Erfindung des Dreipunktgurtes!
Die Ausstattungsbeschreibungen sind ausführlicher als das Londoner Telefonbuch.

Vor allem Design und allen Ausstattungen steht aber ein viel größeres Problem: meine MCS (Multiple Chemikaliensensibilität).

Mit MCS ein Auto zu kaufen ist wie der Versuch, Wellness-Urlaub in der Fabrikationshalle einer Chemifabrik zu planen

Denn nach Chemie riechen darf mein Auto nur so wenig wie möglich. Meine starke Chemikaliensensibillität (MCS) reagiert auf Spurenelement von Chemie. Und Autos sind reine Giftcocktails.

Ich muß also ein Fabrikat finden, das schon zu Beginn vergleichsweise wenig riecht und möglichst schnell seinen Neuwagengeruch los wird. Nur: wie soll ich vorher wissen, was wie “schnell” weniger aggressiv stinkt?

Zurück zu meinen sonstigen Wünschen:: Klein und günstig soll er sein. Aber nicht so eine Mädchenkarre. Quasi ein MG Midget in British Racing Green mit Porschemotor zum Nissan-Preis. Oder so ähnlich.

Wie wäre es denn mit einem Corsa?
Ich schnappe nach Luft.
Das ist ein O-P-E-L!
Ja, und?, sagt meine Freundin.
Ja, und????

Bevor ich in einem Opel fahre, gehe ich lieber zu Fuß

O-P-E-L.
Eigentlich habe ich mit Marken nichts am Hut. Wenn jemand wissen will,
woher meine Jeans ist, muß er hinten ins Etikett schauen. Meine Möbel
sind von IKEA und der Rest meines Leben ein Sammelsurium aus edel und
billig.

Bei Autos hört der Spaß dann auf. Autos erwecken Bilder in meinem Kopf. Es gibt ganz oben (BMW) und ganz unten. Wobei das nichts mit dem Preis zu tun hat. Mercedes folgt in meinem Privatranking nämlich kurz hinter Opel und Ford.

Mit Opel verbinde ich Kacheltisch, blaues Sofa vor Terracotta-Wischtechnik-Wänden, gehäkelte Klorolle, schiefe Posterdrucke in rahmenlosen Bildhaltern. Das könnte ich jetzt endlos fortsetzen. Bei Opel rollen sich meine Fußnägel auf. Kann ich leider nicht ändern.

Ich hatte auch mal einen Opel, sagt meine Freundin.
Ups.
Stille.
Sie mag mich hoffentlich auch nach meinem Opel-Bashing noch.

Der ist aber billig.
Dann gehe ich weiter zu Fuß.
Wir beenden das Thema.

Ich denke an einen Sommer auf Mallorca.
Sie bekommen ein Upgrade, sagt die Dame am Autovermietungs-Schalter. Gleich mehrere Klassen höher. Sie haben echt Glück.
Oh, sage ich, toll
Sie gibt mir den Schlüssel.
Ich blicke darauf.
Oh, sage ich, nicht toll.

Warum?
Das ist ein O-P-E-L!
Ja, ein Opel Dingenskirchen.
Ich fahre keinen Opel.
Aber der hat 3 Mio PS.
Welcher Teil von “Ich fahre keinen Opel.” war unverständlich?
Danke sage ich, aber haben Sie nicht bitte was anderes? Egal wie klein.

Sie schaut mich an, als wäre ich nicht ganz bei Trost.
Na gut, sagt sie und öffnet nochmal ihr System.
Am Ende ratter ich mit einem weißen Transporter über die Insel.
Er klappert in jedem Kreisverkehr, als würde eine Schrankwand im Laderaum Bungee jumpen.
Zumindest kein Opel.

Und Design.

Design muß sein. Ich bin absolut nicht in der Lage, mich mit Dingen zu umgeben, die nicht zu 100% meinen ästhetischen Vorstellungen entsprechen.

Zero Tolerance. Zähneknirschend lasse ich dann auch meine Kreditkarte glühen. Denn ich kenne den Schmerz, einen Gegenstand anzuschauen, dessen Optik fragwürdig ist. Der Schmerz bleibt. Bis das Ding kaputt ist.

In endlosen Internet-Recherchen mache ich mich mit modernen Kleinwagen vertraut.
Der Citroen C1 erscheint ganz hübsch. Kaum kann ich mich mal auf meinen Beinen halten, besuche ich die Automeile. Mit einem Headbanging-Smart. What else.

Probefahrt mit dem C1. Stinkt beißend wie die Pestilenz. Und mir scheint, mich überholt schon bei 30km/h ein Rad. Da fühlte ich mich 1986 in dem Ultraflight-Fluggerät mit Rasenmähermotor über der kalifornischen Wüste noch sicherer.
Zudem steht der am Gas wie ich ohne Kortison. Und dazu dieses Geflatter der Ventile.

Haben die vielleicht zu viel Spiel? frage ich den Gebrauchtwagenman hinterher.
Er schaut mich an und sagt erst mal nix.
Er hat sich wohl auf eine Schminkspiegel-Diskussion vorbereitet.

Dann kommt doch noch was. Daß der C1 nämlich nur 3 Zylinder hat.
VW verbaut auch 3-Zylinder-Motoren. Da hat mir noch nie jemand vorgeheult, daß die flattern.

Der C1 wird es also schon mal nicht.

Ich könnte Ihnen noch einen Twingo anbieten, sagt der Gebrauchtwagenman.
Nun. Twingo. Der Name klingt nicht nach einem ernstzunehmenden Gefährt.
Reinsetzen kann ich mich ja mal. Stinkt ebenfalls intensivst nach Chemie.

Schrapp, machen meine Haare an der Decke.
Verwundert blicke ich nach oben.
Kann man den Sitz noch weiter runter stellen?
Nein, kann man nicht.

Da sitze ich. Kopp an Decke. Die ganzen Instrumente kleben mir an der Brust. Und das liegt nicht an meiner Brust.
Der Innenraum erinnert vom Freiheitsgefühl an ein schwedisches Schlafzimmer.
Gegen einen Twingo ist ein Smart ein Loft.

Möchten Sie mal probefahren?
Ne, möchte ich nicht.

Nun steh ich da auf der Automeile. Blicke rechts, blicke links. Geradeaus Volkswagen.
Wo ich schon mal hier bin.

Der Verkäufer ist so überdramatisch nett wie jeder überdramatisch nett ist, der von Provisionen lebt.
Geschickt wie er ist, nötigt er mich, nach dem VW up auch noch den Polo zu testen. Riecht deutlich weniger als Citroen und Renault. Und das Fahrgefühl ist Liebe auf den ersten Blick. Was auch an den vorher geprüften Autos liegen könnte. Wie gut, daß ich nicht mit Bentley begann.

Schnurrt. Das 7-Gang-DSG-Getriebe ist ein Traum. Keine Schubkraftunterbrechung beim Hochschalten. Nur beim Entschleunigen hängt er etwas untertourig. Blue Motion halt. Was macht man bei VW nicht alles für die Umwelt..(hüstel)

Kurzerhand entscheide ich mich, einen gebrauchten Polo Automatik anzuvisieren. Hauptsache schnell raus aus dem Hardcore-Automeilen-Gestank-Mix aus Plastik, Gummi, Benzin, Öl und 1.000 anderen Giften, die ich besser nicht weiß. Die nächsten Tage werde ich dafür zahlen: mit akuten toxischen Reaktionen, üblen Schmerzen und heftigster Fatigue.

Begeistert erzähle ich einer Freundin in den Tagen darauf von der Technik dieses Getriebes. Detailliert. Irgendwann fällt mir eine denkwürdige Stille auf. Vielleicht sollte ich sie auch mal zu Wort kommen lassen.

Nun, sagt die Freundin in einem Ton, in dem man mit Leuten spricht, die sich für Elvis halten. Mich würde bei einem Auto interessieren, daß viel Gepäck reingeht. Und ich gut einparken kann. Du quasselst hier die ganze Zeit von dem DSG-Dingens.
Ja, aber das ist doch wichtig!
Hm, meint meine Freudnin.
Hm sagt sie immer, wenn sie nett sein will.

In den folgenden Nächten gehe ich mit dem Ausstattungskatalog von VW ins Bett. Früher wärs der Verkäufer gewesen. Aber Prioriäten verschieben sich im Leben. Oder Hormone.