Meine Mutter ruft an. Ich habe Migräne. Schlechte Kombination.
Wir reden dennoch. Heißt: sie redet. Aber egal.
Ihre Friseuse hat nämlich eine Freundin, deren Schwägerin auch Migräne hat. Und die Schwägerin von der Freundin der Friseuse meiner Mutter hat sie mit einer Apfel-Diät wegbekommen. (Die Migräne, nicht die Friseuse.) Ob ich das nicht auch mal ausprobieren sollte, statt der vielen Medikamente?
Ich liebe diesen Unterton. Und ungebetene Therapie-Vorschläge.
Fast täglich erzählt mir jemand von DER Schmerztherapie.
Schlangengift – dann bin ich zwar tot, aber es tut auch nichts mehr weh.
Chakra betanzen – wo auch immer das ist.
Oder – als Freifahrkarte in die Rheinischen Kliniken – Mantra-Singen. Machen Sie das mal in einer Mietwohnung!
Heute also Mutter und die Apfel-Diät. Klingt appetitlicher, als die FX-Mayr-Nummer mit den trockenen Brötchen.
Apfelkuchen, Apfelmus, Apfelsaft. Lecker! Die Funktionsweise erschließt sich mir allerdings nicht. Eine gepflegte Diarrhoe? Vermutlich soll die Migräne durch den Sog des angeschlagenen Darms in der Kanalisation verschwinden.
„Mutter, ich hatte eine Hirntumoroperation. Das ist keine normale Migräne bei mir.“
„Ach Kind“, sagt Mutter.
Mit meinem zweitliebsten Unterton.
„Kind, Du bist so deprimiert geworden. Kein Wunder, daß Du Migräne hast.“
Die Sache mit dem Kausalitätsprinzip ist meiner Mutter Logik nicht. Vier bis sieben Schmerztage die Woche. Seit 15 Jahren. Sind rund 3000 mehr als unerquickliche Tage. Da kann man schon mal deprimiert werden.
Und lernt: Glück ist die Abwesenheit von Schmerz. Und von hilfreich gedachten Vorträgen.
„Kopp?“, brüllte mich vorgestern eine Dame in der Straßenbahn an. Das Hörgerät lümmelte sich wohl auf dem heimischen Sofa.
Ich nickte.
„Uuuh,“, sie warf die Hände in die Luft. „Daaa kannichn Lied von sinng.“
Bitte nicht, dachte ich.
„Also ich kann dann nix lautet vertraagn.“
Ich auch nicht.
Sie beugte sich vor und erhöhte um 30 Dezibel.
„Heilsteine, sach ich Ihnn.“
Meine Restmimik reagierte skeptisch.
„Sie kuckn so, aber datt wirkt!
Tun se einfach zwei inne Karaffe. Könnse immer aufgiessen.“
Super.
Dann muß ich die auch noch entkalken und nicht nur die blöde Flasche.
Wie ich mich kenne, trinke ich die mit. Dann habe ich noch ein Problem: Blasensteine.
Was steht eigentlich auf meiner Stirn, wenn ich Migräne habe?„Bitte geben Sie mir den Rest, indem Sie mir jetzt und hier en Detail Ihre Schmerzerfahrungen schildern. Lassen Sie nichts aus! Zitieren Sie ergänzend Artikel aus „Frau ohne Herz“. In voller Länge – ggf. noch den Anfang der Treppenlift-Werbung.“
Ich beginne, in der offenen Fernsehzeitung zu lesen. „Meuchelmord auf Mauritius“ um 20.15 Uhr. Alles wird gut.
„Ich besorge Dir mal das Buch dazu, Kind.“
„Ja, Mutter.“
Sie meint es ja nur gut.
P.S. Zur Gründung einer Bibliothek für Schmerztherapie fehlt mir aktuell kein Material!
Nix.
Ganz ehrlich.