Seit vielen Jahren werde ich von allen Seiten gefragt, warum ich mir nicht einen festen Zweitwohnsitz in Stockholm zulege, eine kleine Wohnung, die ich untervermiete, wenn ich in Deutschland bin.
Und warum ich mir die Plage aufhalse, für jeden Aufenthalt von neuem im Internet nach Privatwohnungen zu suchen, die ich bewohne, während deren Besitzer sich für meine Miete auf den Malediven amüsieren.
Dann versuche ich, den schwedischen Wohnungsmarkt im Allgemeinen und den Stockholmer im Besonderen so zusammenzufassen, daß mein Gesprächspartner nicht schon altersdement geworden ist, bis ich damit fertig bin.
Gelingt, selten, deshalb erkläre ich das Gröbste heute einfach hier und verweise künftig auf diesen Post. Sehr praktisch so ein eigener Blog! 😉
In Stockholm existiert ein für uns Ausländer nahezu undurchschaubares System aus legalen und illegalen Möglichkeiten, vier Wände zu beziehen.
Mit vier Wänden sind real auch oft nur vier gemeint.
Wenn man die Toilette mal unterschlägt.
Der Markt hält nämlich auch Wohnungen bereit, die nur 20qm messen.
Die ganze Wohnung. Das ist in Deutschland mein Wohnzimmer.
Hier mal zwei aktuelle Beispiele:
Das Schlußgebot dürfte bei rund 220.000€ liegen. (Foto: hemnet) |
Immerhin: Balkon dabei 😉 (Foto: hemnet) |
Mietwohnungen sind ein rares Gut. Man kauft eher. Und verkauft wieder. Mal eben so aus dem Handgelenk.
Als meine alte Freundin aus Dalarna sich mit 21 gemeinsam mit ihrem ersten Freund ein Haus kaufte, brach ich vor Schreck zusammen. Ein gemeinsames Haus bedeutet für mich als Deutsche Ehe, ewige Treue, Kinder und ein Lebensplan bis zur Rente. Mehr Klaustrophobie kann kaum etwas bei mir erzeugen.
Meine Freundin lachte sich schlapp. Und kaufte und verkaufte in der Zwischenzeit noch rund sechs andere Häuser. In Schweden wechselt man eben nicht nur die Ehepartner gelegentlich, sondern auch die erworbenen Häuser.
Mietwohnung + Bostadskö
Möchte man in Stockholm legal mieten, meldet man sich bei der staatlichen Wohnungsbehörde in der sogenannten “Bostadskö” (Wohnungswarteschlange) an und wartet. Das kann dauern. Im Schnitt 15 Jahre.
Nach 8 Jahren bekommt man unter Umständen bereits eine kleine Butze in einem Trabantenvorort angeboten. Auf einen Mietvertrag im Nobelstadtteil Östermalm wartet man gerne auch mal 30 Jahre. Seitdem wundert es mich nicht mehr, daß die Schweden unbeeindruckt 20 Minuten an einer Supermarktkasse anstehen.
Exorbitante Warte-Geschichten kenne ich aus Deutschland auch. Es kam meist ein Trabi darin vor.
In den Vororten entlang der U-Bahn-Linien muß man auch nicht unbedingt wohnen. Sobald man den architektonisch zauberhaften Stadtkern verläßt, kann es richtig übel werden: Plattenbau-Siedlungen, Hochhäuser, nichts, das sich anzusehen lohnt.
Nur eine Station von Södermalm stehen bereits solche “Träume” (Foto: Google Maps) |
Mit dem Millionen-Wohnungen-Plan (Miljonprogrammet) wurden zwischen 1965-1975 – wie der Name schon sagt – mehr als eine Millionen Wohnungen in Schweden aus dem Boden gestampft. Daß man sich hier nicht in individualisierten Designstudien verlor, ist verständlich.
Und wer die Jahreszahlen sieht, weiß auch, wie das Ergebnis aussieht.
Ein Trauerspiel!
Ergattert man vor Rentenbeginn einen förstahandskontrakt (Mietvertrag als Hauptmieter), gibt man den nie wieder her. Und nie, heißt nie.
Egal, ob die Leute auswandern, nach Lappland ziehen oder längst ein Haus anderswo gekauft haben: sie vermieten die Wohnung lieber lebenslang unter, als den förstahandskontrakt weiterzurreichen.
Die wenigen, die es doch machen, verdienen damit unter der Hand ein kleines Vermögen. Ein förstahandskontrakt in Stockholm ist gut und gerne 20.000€ handpenning (Handgeld) wert.
Leben wir Deutschen nicht im Mietparadies?
Wir schauen in die Zeitung, vereinbaren eine Besichtigung und wenn beide Parteien zufrieden sind (und man nicht gerade in Hamburg oder München lebt, wo sich noch 70 andere die Wohnung angeschaut haben), schreibt man einen Vertrag und fertig. Theoretisch kann man in wenigen Tagen eine neue Wohnung beziehen und das als Hauptmieter.
2.-Hand-Vertrag
Nun wollen die Stockholmer ja nicht in der Bronx versauern, also mieten sie in der Zwischenzeit andrahand (als Untermieter) in einer schöneren Gegend. Die meisten andrahandskontrakter sind befristet, weil die förstahandskontrakt-Besitzer eine Weile im Ausland arbeiten oder mit ihrer neuen Freundin zusammenziehen und sich eine Fallbacklösung erhalten möchten.
So hangelt man sich von Untermietvertrag zu Untermietvertrag. Zwei Jahre hier, ein Jahr dort. Das erklärt auch, warum der gemeine Stockholmer ungefähr nur rund 10% so viele Gegenstände in seiner Wohnung hortet, wie wir Deutschen.
Die neue Suche ist also absehbar.
Es sei denn, der Vermieter verliebt sich bei seiner Auslandsreise und bleibt gleich dort.
Bei einer attraktiven Wohnung würde ich in Erwägung ziehen, eine hübsche Ausländerin auf meinen Vermieter anzusetzen.
Wäre unterm Strich sicher billiger, als noch sechsmal umzuziehen.
Und der Schwarzmarkt blüht.
Niemand, der bei klarem Verstand ist, kündigt seinen lang ersehnten Ersterhandvertrag. Also wird munter unter und unterunter und unterunterunter vermietet. Legal ist das ab 3. Hand natürlich nicht.
Es gibt Leute, die gar nicht wissen, wem ihre Wohnung eigentlich gehört.
Und daß auch noch die Küche einer Einzimmerwohnung als Schlafplatz für Wochenendpendler vermietet wird, ist kein Gerücht.
Und weil Unterkünfte in Stockholm so rar sind und sich damit vortrefflich Geld verdienen läßt, vermieten sehr viele Einwohner ihr Zuhause sogar schon unter, wenn sie nur wenige Tage zu Muttern aufs Land fahren.
Ab Mittsommer liegt Stockholm bis Mitte August förmlich brach. Die Hälfte der Einwohner wohnt in der Sommerzeit auf dem Land und sie vermieten ihr Domizil für diese Zeit. An Hitzeflüchtlinge wie mich zum Beispiel.
Was habe ich diese Küche mit Aussicht ins Grüne geliebt! |
Wohnung bzw. Wohnrecht kaufen
Etwas mehr als die Hälfte der Stockholmer kaufen eine Wohnung.
Wobei “Wohnung kaufen” nicht dasselbe bedeutet, wie bei uns in Deutschland. Man kauft lediglich das bostadsrätt (Wohnrecht) in einer Genossenschaft.
Heißt, daß man mit der Wohnung beileibe nicht umgehen kann, wie wir das von unserem Besitz gewohnt sind. Untermieter sind in den meisten bostadsföreningen (Wohnungsgenossenschaft) offiziell nur einmal und für eine schriftlich begründete Zeit, wie z.B. beruflicher Auslandsaufenthalt, erlaubt.
Und bis zu einem neuen Gesetz vom Februar 2013 durfte der Mietpreis für den Untermieter auch
nur unwesentlich höher liegen, als die eigenen Kosten. Seitdem haben sich die Preise für Kurzzeitmieten andrahand um mindestens 60% erhöht.
Für Ausländer, die in der Regel ja nicht seit 20 Jahren in der bostadskö vor sich hinmodern, ist Kauf die einzige Chance aus dem chronischen Herummigrieren herauszukommen.
Wäre sehr einfach, wenn die Kaufpreise nicht wären. Vor drei Jahren wurde eine winziges Hinterhäuschen mit 12qm Wohnfläche auf Kungsholmen für eine halbe Million Euro verkaut. ZWÖLF Quadratmeter.
Das war natürlich ein Extremfall, aber mit 7.000€/qm sollte man schon rechnen, wenn man nicht bewaffnet auf die Straße will.
Kaufpreise
Die in den Wohnungsannoncen angegebenen Preise sind übrigens trotz der bereits utopischen Höhe mit Vorsicht zu genießen. Bei uns in Deutschland spekuliert man als Verkäufer auf einen Abschlag. In Schweden ist dies umgekehrt.
Zwei Preisangaben in den Annoncen sind relevant:
“accepterad pris” = Der Verkäufer würde tatsächlich für diesen Preis verkaufen. Bei entsprechendem Interesse, das in Stockholm eigentlich immer vorhanden ist, natürlich gerne höher.
“utgångspris” = Der Preis steigt auf jeden Fall, denn er bildet die Basis fürs Steigern.
Wie bei jeder anderen Auktion auch, handelt es sich hier um das Mindestgebot.
Per SMS oder Mail werden die Interessenten über das jeweils höchste Gebot ihrer Konkurrenten informiert. Auf hemnet.se oder den Webseiten der Makler sind die Bietvorgänge online zu verfolgen.
Eine dritte Preisangabe sollte ebenfalls tunlichst studiert werden: die månadsavgift.
Natürlich zahlen Wohnungsbesitzer auch in Deutschland ein Hausgeld. Bei Monatsabgaben, die bisweilen Mietniveau erreichen, frage ich mich aber schon, warum die Bewohner die Wohnung erst noch kaufen müssen.
Was sind da für Leistungen im Wohngeld eingeschlossen?
Vielleicht sollte man sich den Gärtner mal genauer ansehen.
Man wird ja noch träumen dürfen. 😉 |
Der Grundgedanke, daß niemand am Wohnen verdienen soll und Wohnraum nicht als überteuerte Ware gehandelt wird, ist löblich. Doch wie viele Systeme, die das Wort Genossen enthalten, ist auch dieses inzwischen von der Realität unterwandert.
Wenn ich da an die deutsche Hauptstadt denke: Zeitung aufschlagen, anrufen, anschauen, mieten. Das deutsche System weiß ich jetzt zu würdigen.
Wie immer im Leben: nüscht is perfekt.
Nicht mal Stockholm.
Und hier noch einige Links zu beliebten Wohnungssuchseiten:
blocket.se
Hier gibt es neben dem üblichen bostadsrätt viele Angebote zur kurz- oder längerfristigen Miete einer Privatwohnung. Alle meine bisherigen Wohnungen habe ich hier gefunden.
hemnet.se
Auf hemnet findet man ausschließlich Kaufangebote. Wer richtig ins Schwärmen geraten will, klickt auf den Link “Inspiration”. Ich nenne es meinen Immobilienporno..
bostaddirekt.com
Bostaddirekt vermittelt 2.-Hand-Verträge. Für die Kontaktaufnahme zu den Vermietern ist eine kostenpflichtige Registrierung erforderlich.