Manuel Neuers Schnute

Manuel Neuer, Fußball, WM 2010, Weltmeisterschaft, Keeper

Sommer 2010. 45 Grad. Mindestens. Gottergeben vor mich hin transpirierend sitze ich unter einem Sonnenschirm vor einer Kneipe. Es ist Fußball-WM und der Mensch ein soziales Wesen.

Nun interessiert mich Fußball unter normalen Umständen so sehr wie Shopping. Nämlich gar nicht. Aber Hauptsache, die anderen freuen sich.

Als ich gerade überlege, ob ich mein Wasser trinke oder über den Kopf schütte, macht es PLING. Dieses PLING im Kopf, wenn plötzlich Hormone übernehmen und die Augen willenlos auf fremden Körperregionen kleben.

Eine blonde Schnitte mit den perfektesten Schultern des Universums hält den Ball in der Hand. Dann wirft sie ab. Gefühlte 3km. Mal eben so aus dem Handgelenk.

Bei den Bundesjugendspielen habe ich 13,50m geschafft. Nach hinten. Ich mußte damals ziemlich hoch springen, um die Ehrenurkunde zu bekommen.

Während ich mir noch Luft zufächele, um der Spontanohnmacht zu entgehen, zoomt die Kamera ran. Du meine Güte! Wie kann jemand eine so entzückende Oberlippe haben? Da möchte man sich dran festknutschen. Präziser: ich.

An dem Tag lernte ich, wer Manuel Neuer ist

Wer ist das denn?, frage ich so beiläufig wie möglich. Der Keeper von Schalke, sagt ein Typ neben mir. Der Keeper. So, so. Ich kenne nur Barkeeper.

So fing es damals an. Ich sah fortan alle WM-Spiele. Zumindest, so weit die Deutschen kamen. Und die Zeit nach dem Abpfiff mit den schönen Zeitlupen schaute ich auch. Zumindest, bis mich Freunde am Arm wegzerrten.

Am Anfang fanden meine Freundinnen das noch witzig. “Deine Weeeelpe!!”, brüllten sie durch jede Kneipe, wenn er im Bild war. Braucht man eigentlich Freunde?
Und alle guckten mich an, wie man Gestörte eben so ansieht. Aber das ist das Nette am Älterwerden: es ist einem ja nichts mehr peinlich. OK. Fast nichts.

Wenn ich jetzt plötzlich aus dem Gespräch aussteige und wie ein Lemming auf einen Bildschirm starre, folgen sie kurz meinem Blick und seufzen unisono: “DER schon wieder.”

Dann schreiben sie den Abend ab. Und ich blühe auf. Wenn ich überhaupt noch etwas sage, kommt überproportional häufig das Wort “Oberlippe” darin vor.

“Der Knabe ist 25.”
“Ich weiß.”

“Ist der nicht ein bißchen jung?”
Manche Leute sind echt penetrant.
Klar ist der ein bißchen jung. Ich will ihn ja auch nicht heiraten.

Männer sind irgendwie netter zueinander. Wenn ein 80-jähriger eine Studentin angeifert, nickt der andere und sagt: “Scharfes Geschoß.” Dann freuen sich beide.

Frauen weisen einen darauf hin, wie alt man ist. Dann freut sich keiner. Mädels, das ist ein REFLEX! Ich kann da nichts für.

Wenn Ihr in jeden Kinderwagen springt und kreischt. Was sag ich da? Na? Sag ich da: “Meeensch, Süße, der ist 8 Monate!” Nein. Da rolle ich mit den Augen und schweige.

Oder wenn Ihr plötzlich auf die Knie geht, weil irgendwas, das kaum mehr wiegt als eine Packung Knäckebrot, wild mit dem Schwanz wedelt und Eure Hand vollspeichelt. Sag ich da: “Süße, das ist ein HUND!”? Nein.

Ein Mann wie ein Einbauschrank mit der Oberlippe meines kleinen Patenkindes. Das ist einfach der Lolita-Effekt.

Ich stehe dazu.
Meine Hingabe könnte natürlich auch an der gemeinsamen Heimat liegen. Dem schönen Ruhrpott. Das wirds sein. Ja sischa datt..

Und während Manuel Neuer sich in den letzten Jahren zum gestandenen Mann ausgewachsen hat, ist bei mir auch einiges gewachsen: die Zahl der Manuel Neuer Devotionalien. Ich war’s nicht. 😉