Vom Loslassen und Ankommen und Loslassen und..

Welcome 2017! Eine frohes neues Jahr wünsche ich Euch allen!

Nun ist es also vorbei, 2016 mit all seinen gewalttätigen Schrecknissen und Todesfällen. Zumindest, wenn man sich die psychologische Finte gestattet, einen Tag im Jahr als ein Ende zu definieren. Denn gestern war genauso der Beginn eines neuen Jahres wie heute oder morgen.

Und weil das so ist, täten wir gut daran, jeden einzelnen Tag so zu behandeln wie den von uns erfundenen Silvester-Tag. Mit Achtsamkeit. Mit dem Bewußtsein, daß er nie wieder kommt. Und mit den Schlußfolgerungen aus dieser Erkenntnis.

Unser Leben ändern können wir jeden Tag. Wenn ich auf 2016 zurück schaue, war der Tag, an dem ich im letzten Mai kurzerhand meinen festen Mietvertrag kündigte, der für mich bedeutendste Tag in dem Jahr. Denn ich habe nach vielen Jahren des Grübelns und Antestens entschieden, einem besseren Leben ohne das ekelige Klima das Rheinlands eine Chance zu geben. Trotz aller Traurigkeit, die damit verbunden ist.

Und ich habe mich befreit. Von dem, was ich zusätzlich als ständige Belastung empfand: eine große Wohnung mit viel Gedöns.

Oh, wie groß war das Gekreisch!

Wenn gesunde Menschen ihren festen Wohnsitz aufgäben, um sich mit kleinem Gepäck auf die Suche nach einem besseren Leben zu machen!! Aber Duuhu?! In DEINEM Zustand?

Ja. Genau. Ich. In meinem Zustand.
Einem Zustand, der mir rund um die Uhr detailliert vorschreibt, ob ich überhaupt was machen kann.
Wenn ja, wann.
Wenn ja, wieviel.

Soviel Kinder, Ehemänner und Vierbeiner könnt Ihr Euch gar nicht an die Backe hängen, um dermaßen fremdbestimmt zu sein. Kinder ziehen irgendwann aus. Von Ehemännern kann man sich scheiden lassen. Oder sie mit Reiswaffeln sukzessive in dern Arsenhimmel befördern.

Chronischen Krankheiten hat man lebenslänglich. Irgendwann fiel mir auf, daß ich die wenige Energie, die ich besitze, zu 100% darin investierte, meinen Haushalt am Laufen zu halten. Zu putzen. Zu räumen. Zu verwalten. Zu organisieren. 73 Quadratmeter. Meine ganze Wohnung erschien mir wie ein einziger Ballast. Sisyphos de luxe.

Ganz besonders fiel mir dies auf, als ich 2011 aus meinem ersten Sommer in Stockholm zurückkehrte.

Zwei Monate mit zwei Koffern. Und was hatte ich vermißt?

Nichts.

Ich saß ratlos auf meinem großen weißen Sofa in Düsseldorf, schaute auf 1000 Bücher, die sich zweireihig in die Regale drängten und wollte am Liebsten gleich wieder gehen.

Fast bedauerte ich, daß die Wohnung nicht ausgebrannt war. Nur widerwillig integrierte ich mich wieder in das “normale” Leben. Und so ging es seither jedes Jahr, wenn ich von meiner Übersommerung in Stockholm zurückkehrte.

Nun habe ich mein seit Jahren gehegtes Bedürfnis in die Tat umgesetzt.
Und was soll ich sagen?

Es ist klasse!

Natürlich ist es immer wieder auch anstrengend und verunsichernd. Vor allem jetzt in Hamburg, wo ich noch kein soziales Netz habe wie in Stockholm oder Düsseldorf.

Dennoch höre ich seit meinem Auszug aus Düsseldorf permanent denselben Satz von meinen Freunden:
Du klingst so aufgeräumt.

Der Satz paßt in jeder Hinsicht. Ich habe mein Leben aufgeräumt. Und ich bin frei. An mir hängen keine Möbel mehr, die ich nicht alleine bewegen kann. Keine dauerhaften Mietverträge. Keine Verwaltung. Nix.

Nur zwei Koffer und – inzwischen wieder – mein Auto. Mit ein wenig mehr Gedöns, denn ich wußte ja nicht, wann ich wieder in meinem Düsseldorfer Self Storage vorbei komme.

Was ist das für ein wunderbares Gefühl: die Lagertür zu öffnen, einige Dinge auszutauschen, noch einen letzten Blick auf Bücherregale und Kisten zu werfen und die Tür schnell wieder zu verriegeln. Rumms! Weg ist es. Seh ich nicht mehr. Kann abbrennen oder nicht. Wurscht.

Und mit dem Loslassen des Materiellen habe ich mir noch eine Aufgabe auferlegt: das ewige Planen loslassen. Das Sichabmühen am Erreichen von Zielen, die vielleicht sowieso die Falschen sind. Risiken eingehen und sehen, was passiert.

Das paßte bisher ungefähr so gut zu mir wie ein Kindergarten. Wenn etwas anliegt, rufen nämlich meine Freunde unisono: Du hast doch sicher schon eine Powerpoint-Präsentation zum Thema gemacht, oder? Und dann kugeln sie sich auf dem Asphalt, wenn ich verschämt: Ne, aber ne Excel-Tabelle, nuschele.

Ich war das Google Maps der 90er. Kannte die Busfahrpläne auf Mauritius, noch bevor die Reise gebucht war. Meine Lebensabschnittsmänner mußten Reisen lediglich abnicken. Der Rest fluppte dank meiner Freude am Organisieren.

Über die Jahre stellte ich mit Erstaunen fest, daß die meisten Menschen ohne eine so detaillierte Vorbereitung durchs Leben gehen. Und das klappt auch.

 

Warum also nicht nach der Hälfte des Lebens eine neue Methode probieren?

Vor allem, da sie deutlich weniger anstrengend zu sein verspricht.

Entsprechend bin ich ultraspontan und ohne jegliche Vorbereitung meinem Bauch nach Stockholm, statt nach Hamburg gefolgt. Habe in den letzten Monaten so oft die Unterkunft gewechselt, daß ich oft nicht mehr wußte, wo ich gerade war. Und das Erstaunliche: es hat mich nur ganz selten mental geschrottet. Weil ich mich ununterbrochen bemüht habe, im Flow zu bleiben. Mich nicht zu überfordern. Mich hineinzugeben in die Situation, anstatt sie zu bekämpfen. Und zu vertrauen, daß noch rechtzeitig eine Lösung auftaucht. Und tatsächlich: sie kam. Immer.

So tiefentspannt begab ich mich nun auch an die Suche für Hamburg. Wobei: wirklich gesucht habe ich gar nicht. Ich schaute mir online ein paar professionelle Anbieter für Apartments an, stellte fest, daß man dort notfalls immer etwas wunderbar Puristisches buchen kann, wenn man bereit ist, für eine Weile teuer Geld gegen wenig Platz zu tauschen und verschob das Thema immer weiter Richtung Mietvertragsende in Stockholm.

Und wieder fragten mich alle total besorgt, ob ich denn schon wisse, wo ich wohne. Nö, wußte ich nicht. Ommmmm..
Ich glaube, so manche Freundin hat nochmal geprüft, ob sie die richtige Nummer gewählt hatte. Frau E. ohne Plan?!

Die Lösung landete ganz von alleine bei mir. Aus meinem Krankheitsforum kenne ich eine supernette Hamburgerin. Die das Klima im Norden nicht verträgt. Was für mich Stockholm, sind für sie die Kanaren. Ob ich ihre Wohnung für zwei Monate bewohnen wolle. Ein Blick auf die Fotos. Ja, ich wollte!
Und jetzt ratet, wohin mich mein Glück geführt hat?

Es hätte wahrlich schlimmer kommen können mit meinem Nicht-Planen 😉