Stockholm Station 4: Vom Luxuszimmer in die Semi-Bronx

Der nächste Morgen. Heute sollte ja alles besser werden. Fand mein Körper aber nicht. Er befand, ich solle maximal den Weg ins Bad schaffen. Was für eine Wohnungssuche und einen Auszug aus dem teuren Hotelzimmer enorm kontraproduktiv war. Ich erhielt ein paar Stunden Schonfrist aka Late Checkout. Als die Zeit nahte, war ich immernoch totkrank. Zum Glück befand ich mich in einem Stadium, in dem mir eh alles egal war. Also auch die Kreditkarte, die jetzt noch eine Nacht ächzen mußte.

Tag zwei im Hotel: Lage dank meiner halben Apotheke einen Hauch besser. Ziel heute: erst mal hier raus.

Unterm Strich war ich erstaunt, wie gelassen ich das Drama bis dato verkraftete. Normalerweise bekomme ich ja schon einen hysterischen Anfall, wenn ich nicht weiß, wo ich am 10.1.2028 schlafe  Jetzt bin ich zwar erschöpft und gestresst, aber nicht hysterisch. Das ist schon mal ein großer Unterschied. Und Zweifel, ob das so pfiffig war, seinen Wohnsitz aufzugeben und ins Ungewisse hinein mal hier, mal dort zu leben, kamen auch nicht auf. Es gibt nur einen Weg und der geht nach vorn.

Meine Strategie, zu testen, ob ich auch in meinem betagten Alter und mit den fast alles einschränkenden Krankheiten noch in der Lage bin, mich mental umzustrukturieren und Dinge gelassener anzugehen, ging auf. Wenn auch unter irre großen Schmerzen. Aber einen Tod muß man sterben.

Manchmal muß der Mensch “lediglich” seine Komfortzone verlassen. “Ich könnte das nicht…” heißt bei uns doch meist “Ich will das nicht..” Möchte die Umstände nicht. Die Ängste nicht. Die Kosten nicht. Die Einschränkungen nicht. Das ist auch eine legitime Entscheidung. Man darf dann nur nicht gleichzeitig jammern, daß man nichts erlebt oder erreicht.

Ich hatte heute schweinemäßig Glück im Unglück: meine Freundin T. (Station 1) wohnt gegenüber vom Hotel. Dort gibt es eine Gästewohnung, die just für eine Nacht frei war. Ja, in dem Stadium freute ich mich schon über Einzelnächte. Wenn mir das einer vorher erzählt hätte..

Nur 300m umziehen hatte was für sich. Die Wohnung selbst war sehr niedlich.

Nur mit Erdgeschoß habe ich olle Klaustrophobikerin ja so meine Probleme. Zudem habe ich wegen der frischen Luft immer ein Fenster sperrangelweit offen. Bis es schneit. Womit ich mir immer viele Freunde mache.
Im Erdgeschoß kann man ein Fenster nicht unbewacht offen lassen, hat sowieso schon kaum Licht und jeder starrt hinein. Wodurch man das Rollo runterzieht. Dann hat man gar kein Licht mehr. Aber es ist ja nur für eine Nacht.

Zum vierten Mal packte ich das Allernotwendigste aus meinem Koffer aus. Zum vierten Mal bastelte ich mir Bett, Bad und mobile Küche zurück. Plötzlich hatte ich die Nase voll.
Gestrichen. Stockholm erschien mir wie eine Diva: wunderschön, mit tausenden Gaben gesegnet, aber läßt einen abprallen wie Teflon.

Ich wollte nach Hause. Sofort.
Ausruhen. In mein eigenes Bett.

Moment..

Da war doch was…

Stimmt. Ich habe ja kein Zuhause mehr. Ich müßte in Düsseldorf auch eine Unterkunft suchen. Und was sollte ich in Düsseldorf, wenn ich im dortigen Klima vor Ende September rund um die Uhr sterbe vor Dauerschmerzen? Und Atemnot. Und Schwäche. Und Allergien.

In Stockholm hatte ich sogar im Dauerstreß noch schmerzfreie Stunden. Unfaßbar. Das Klima ist wirklich ein Traum. Und deshalb beschloß ich, weiterzumachen. Koste es, was es wolle.

Mittags schickte mir meine Freundin S, einen Link zu einer Airbnb-Annonce, die man auch einen Monat am Stück mieten konnte. In Farsta. There is always something..

Not macht flexibel: Und so lernte ich Farsta kennen

Farsta hatte ich bisher der Semi-Bronx zugeordnet. Und entsprechend ignoriert. Nun konnte ich nichts mehr ignorieren. Ich brauchte ein Dach über dem Kopf für mehr als ein paar Tage. Zur Not würde ich mir dort noch eine Knarre kaufen. Das dürfte bei dem günstigen Mietpreis der Einzimmerwohnung noch drin sein.

Ich schickte der Vermieterin meine Wunschmindestmietzeit und durfte umgehend antanzen. Das tat ich dann auch. Und war erstaunt, wie gut angebunden Farsta ist. Auf der grünen Linie, die ganz Söder vertikal durchquert und dann auch alle strategischen Punkte der Innenstadt. Nicht schlecht.

Schlecht fand ich aber erst einmal, was ich dann sah: Hochhäuser so weit das Auge reicht. Jesses.

Genau so wollte ich nie wohnen. Welcome to reality, Frau E.

Im Hauseingang grüßte mich jemand. Im Fahrstuhl wieder. Hallo?! Wir sind immerhin noch in Stockholm. Da grüßt man seine Nachbarn nicht. Auf keinen Fall. Man geht sich aus dem Weg. Aber das ist das Schöne: sobald man unter andere Migranten gerät, kommt wieder “normales” Sozialverhalten ins Spiel.

Die Wohnung war 30qm groß und stand aktuell zum Verkauf. Hieß, ich mußte damit rechnen, regelmäßig ALLE Spuren von mir verschwinden zu lassen, damit ein Makler mit Kaufinteressenten durch eine perfekt gehomestagte Bude laufen könnte. Nicht wirklich streßfrei, aber watt willze machen.

Wenn ich die Maklerfotos meinen gegenüberstelle, bin ich immer wieder erstaunt, welch eine Größe man mit Weitwinkel und Fototuning in Wohnungen hinein zaubern kann:

Positiv an Verkausfwohnungen ist, daß sie keine Spuren des Besitzers tragen: keine Fotos, keine persönlichen Gegenstände, kein Kram, kein voller, müffelnder Kleiderschrank. Bett, Tisch, Stuhl, leerer Schrank. Mehr brauche ich nicht zum Leben.

Die Vermieterin und ich unterhielten uns lange und super nett. Weniger nett fand ich, daß sie plötzlich mehr Miete wollte, als in der Anzeige stand. Wir einigten uns auf die Mitte, aber ich fühlte mich dennoch etwas aufs Kreuz gelegt. Und statt der ihr vorab genannten vier Wochen, die ich mindestens mieten wollte, weil ich dann zur Not wieder in Station 1 einziehen könnte, bekam ich im Vertrag plötzlich nur zwei.

Zwei waren in meiner Lage besser, als einzelne Tage hier und dort, also ließ ich mich auf den Deal ein. Daß dies noch mein Vorteil sein würde, ahnte ich zu dem Zeitpunkt nicht.