Januar 2008.
Trüb ist es draußen und trüb drinnen.
Sport soll ja die Stimmung aufhellen.
Ich halte Sport für überbewertet.
Aber, wenn’s hilft, dachte ich mir.
Nach langem Überlegen erinnerte ich mich einiger erquicklicher Stunden Badminton zu Studentenzeiten.
Sie endeten immer mit dem entzückenden Trainingspartner in der Sauna.
Die 45 Minuten davor waren aber auch ganz OK.
Ich kaufte einen chicen Schläger aus einem Material, dessen Namen ich vergessen habe, das aber alles aushält.
Der Schläger von früher konnte nicht alles aushalten.
Als ich mit ihm auf den Hallenboden eindrosch, zerbarst er.
Früher war eben doch nicht alles besser.
Dann erwarb ich noch eine Sporttasche, die mir den Anschein einer gewissen Dynamik verleihen sollte, und zog los.
Eine Woche später wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen.
Die Achillessehne soll eh schon morsch gewesen sein, sagt mein Operateur.
Das macht es auch nicht besser.
Jetzt weiß ich, daß ich von innen noch maroder bin, als von außen.
Am ersten Morgen allein zuhause wache ich mit einem dümmlichen Lächeln auf dem Gesicht auf.
Und nun rate?
Opiate, Opiate.
Vergessen kann so schön sein.
Dann juckt mein Fuß.
Die Mücke, die draufhockt, muß mit Ottfried Fischer verwandt sein.
Stellt sich als Gips heraus.
Mir wird klar, daß heute kein guter Tag ist.
Ich beschließe, so zu tun, als wäre alles beim Alten.
Meine chronische Migräne beschließt das auch.
Wir plumpsen gemeinsam mit dem Klumpfuß in den von der Krankenkasse großzügig geliehenen Rollstuhl.
Im Türrahmen zur Küche bleibe ich stecken.
Genau gesagt, bleibt meine Hand zwischen Reifen und Rahmen stecken.
Es gibt ein schabendes Geräusch, dann ist es still.
Bevor ich mich über die Blutspuren auf dem hellen Lack ärgern kann, kommt mir mein Fuß zuhilfe.
Er hat gemerkt, daß er runterhängt.
Inzwischen haben sich diverse Körperflüssigkeiten darin gesammelt.
Das mag er nicht.
Sechs Kilometer entfernt auf dem Küchentisch liegt eine jungfräuliche Packung Ibuprofen und lacht sich schlapp.
Als der Türrahmen mich ausspuckt, funktioniert nur noch meine linke Hand.
Reicht doch fürs Leben, würde ein Mann jetzt sagen.
Als Frau nutze ich die linke Hand für einen Tee.
Und wo ich so bequem im Rollstuhl vor dem Kühlschrank sitze, kann ich mir gleich die gekühlte Hautsalbe auf die roten Flecken in meinem Gesicht auftragen.
„Das ist streßbedingt, Frau E.“, hat die Hautärztin mit diesem gewissen Unterton gesagt „Sie sollten sich nicht alles so zu Herzen nehmen.“
Ich wollte ihr den Rezeptblock über den Kopf ziehen, ließ es dann aber.
Wobei meine Chancen auf verminderte Zurechnungsfähigkeit inzwischen nicht schlecht stehen dürften.
Der Tee ist fertig.
Ich versuche, das Tässchen auf meinen Knien ins Schlafzimmer zu balancieren.
Verbrennungen ersten Grades hatte ich noch nicht.
Meine Krankenkasse schmeißt mich eh bald raus.
Der Weg aus der Küche ins Bett mißt vier Meter.
Meine Geschwindigkeit liegt im nicht meßbaren Bereich.
Wer Schwerlasttransporte auf der Autobahn bedrängt, gehört verhauen.
Drei Stunden später meldet das Rolli-Navi: „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“
Das, was noch in der Teetasse schwimmt, ist lauwarm.
Die andere Hälfte hinterließ bei der Abreise aus der Küche eine Spur der Vernichtung in meinem Schritt.
Ich wälze mich aus dem Rollstuhl ins Bett.
Frustriert fische ich eine Wimper aus meinem linken Auge.
Plötzlich schiessen Tränen hervor.
Ja, die Situation ist wirklich zum Heulen.
Allerdings weint nur das linke Auge.
Mir fällt die Hautsalbe ein, die noch an meinen Fingern klebt.
Vermutlich ätzt sie mir gerade die Hornhaut von der Iris.
Oder umgekehrt.
Auch gut.
Muß ich mir das Elend nicht länger ansehen.
„Sollte die Salbe ins Auge gelangen, spülen sie es umgehend unter fließendem Wasser aus.“
Ich schaue auf den Rollstuhl und kippe mir Sprudelwasser ins Auge.
Dann starre ich auf die Decke und hoffe, daß sie mir auf den Kopf fällt, bevor ich Hunger bekomme.
Das war 2008.
Mein Tanzkarte für verletzungsintensive Sportarten ist inzwischen gefüllt.
Man riet mir, es doch bitte bei krankenkassenverträglichen Tätigkeiten wie Joggen oder Tanzen zu belassen.
Und wenn mich nochmal jemand im Leben fragt, warum ich keine spannenden Sportarten mehr betreibe, wo ich doch so sportlich aussähe, tätowiere ich ihm den Link zu diesem Post auf die Stirn.