Und der nächste Polo kommt.
Sogar günstiger.
Haken: er steht bei einem VW-Zentrum in Wiesbaden.
Wiesbaden liegt nicht auf der Straßenbahnlinie 712.
Um es bis lebend bis Wiesbaden zu schaffen, müßte ich tagelang vorher langsam mein Kortison hochdosieren.
Ich müßte mich auch zusätzlich noch bis zum Dach dopen.
Ich müßte vor Ort übernachten.
Ich müßte jemanden haben, der mich durch die Gegend fährt.
Ich
müßte gesundheitlich mindestens sieben Tage lang für diese Aktion
zahlen: mit brüllenden Dauerschmerzen, Bettlägerigkeit und 45 Symptomen, die
hier jetzt keiner so genau wissen will.
Andererseits: falls ich diese Autokauf-Aktion überlebe, wäre das Mobilitätsproblem in wenigen Tagen gelöst. Und mein Leben um 2000% agiler.
Ich mach’s.
Tschaka!
Alles organisiert.
Alles geschluckt.
Minimal mehr Kortison wirkt bei mir wie Ecstasy. Zumindest stelle ich mir das bei Ecstasy so vor. Man stürzt hinterher auch so ab wie bei Ecstasy. Zumindest stelle ich mir auch das bei Ecstasy so vor.
Carpe autocinetum.
Ecstasy und ich gelangen tatsächlich ins Rhein-Main-Gebiet. Zitternd vor Vorfreude sitze ich im Auto meiner Cousine. Noch 500m sagt das Navi.
Da klingelt mein Handy: Der VW-Verkäufer ist dran. Er klingt, als hielte man ihm eine 45er an den Kopf.
Sie dürfen sich jetzt nicht aufregen, Frau E.
Gibt es jemanden auf diesem Planeten, der sich nicht aufregt, wenn er das hört?
Meine Cousine schaut mich von der Seite an.
Es ist etwas Dummes passiert. Etwas ganz, ganz Dummes..
In der Ferne sehe ich das Schild vom Autohaus.
Ihr Polo wurde vor einer Stunde versehentlich verkauft.
Mir wird heiß.
Mir wird kalt.
Ich habe versucht, Sie zu erreichen.
Ja, wo war ich wohl vor einer Stunde, wenn ich aus Düsseldorf herbeifliege? Bestimmt nicht im heimischen Treppenhaus.
Das ohnehin überdosierte Kortison pulst in Kopf und Adern.
Meine Cousine hält an. Ich glaube, sie bereitet sich darauf vor, mich zu reanimieren. Ich
wiederhole mich ja selten, aber ich weiß nicht, wie oft ich in den
folgenden zehn Minuten den Satz “Das glaube ich jetzt nicht” ins Auto
erbrochen habe.
Am Vortag hatte ich mit dem Depp Verkäufer nochmal den heutigen Termin durchgekaut. Damit diesmal nichts schiefgeht. Nichts.
Und dieser (Ich kann das nicht mal durchgestrichen hier eintippen. Nennen wir ihn einfach) Mensch vergißt morgens erneut
reservieren, so daß ein Kollege aus einer anderen Filiale auf “mein” Auto
zugreifen konnte.
Mein Modell wird nämlich gerne blind gekauft. Aus fernen Städten. Von Kunden, die genauso danach suchen wie ich armes Hascherl.
Soll ich da überhaupt noch hinfahren?, fragt meine Cousine.
Und ob wir da die 500m noch hinfahren!
Ich marschiere ins Autohaus, wo mir der Verkäufer schon Entschuldigungen stammelnd entgegen eilt. Ich packe ihn an seiner geschmacklos glänzenden Krawatte und drücke ihn rückwärts auf seinen Schreibtisch. Dann jage ich ihm mit voller Wucht mein Knie in die wabbeligen Körperteile, die selbigem am nächsten baumeln. Während sich das Weichei noch den Tacker aus seinem Rücken operiert, zielt meine Rechte auf die Jacketkronen seines Chefs.
Mit dem fröhlichen Geklirre der ausfallenden Zähne auf dem Betonboden im Rücken verlassen meine Cousine und ich diesen Laden.
So ging die Geschichte aus.
Oder so ähnlich.
Daß
man mit diesem VW-Händler nicht als Scherereien
haben würde, hätte ich schon aus dem Namen herauslesen können.
So pfiffig war ich aber nicht.
Daß dieser VW-Händler Bewertungen bei Autoscout24 und mobile deaktiviert hat, hätte mir auch zu denken geben können.
Tat es nicht.
Daß die Verkaufsanzeige meines Polos noch weitere Tage online war, gab mir dann aber schon zu denken. Daß
das Ganze vielleicht nur ein Lockangebot war, um verzweifelten Kunden
nach ihrer langen Anreise spontan etwas zu verkaufen, was schon seit
Jahren auf dem Hof vor sich hin schimmelt.
Wie den Golf, den man mir versuchte, anzudrehen.
Aber wenn Frau E. einen Polo Automatik mit neuem 7-Gang-DSG-Getriebe in Pepper Grey will, dann will sie einen Polo Automatik mit neuem 7-Gang-DSG-Getriebe in Pepper Grey und keinen Golf.
Man soll die Dinge ja positiv sehen.
Während der folgenden Woche im Bett hatte ich ausreichend Gelegenheit
für mentales Antiaggressionstraining und das Identifizieren von Lernerfolgen.
1.) Wo VW drauf steht, ist nicht nur Abgas-Skandal drin, sondern mehr. Viel mehr.
In allerletzter Sekunde “versehentlich” verkaufte Autos zum Beispiel.
2.)
Besichtigungstermine sind nur Besichtigungstermine, wenn sie maximal
fünf Minuten vor der Ankunft nochmal bestätigt werden. Alles andere ist
so verläßlich wie der Busfahrplan auf den Seychellen.
3.)
Ein Auto zu suchen, wenn man meist schon zu schwach ist, die Wäsche aus
dem Keller zu holen, gleicht einem Marathon, bei dem das Zielschild
immer just vorm siegreichen Einlauf weggezogen wird. Daß man dafür noch
Geld bezahlt, erscheint mir zunehmend wie die Nummer mit der rechten und
der linken Backe.
4.) Man sollte immer seine Cousine samt Fluchtwagen dabei haben, falls Situationen anders verlaufen, als geplant.