Einige von Euch wissen ja bereits, daß ich seit vielen Jahren chronisch erkrankt bin.
Und weil ich mit allem sehr gründlich bin, habe ich mir im Laufe der Jahre noch zusätzliche dauerhafte Beeinträchtigungen zugelegt.
Es fing an 1997. Ich forschte fröhlich für meine historische Promotion im Stadtarchiv von Stralsund. Wenn nur die inzwischen täglichen Migräneattacken nicht gewesen wären! Kurzerhand schickte mich eine Stralsunder Ärztin ins Kernspin und rettete mir dadurch das Leben.
Vorgezogen vor allen anderen Patienten – was einem immer zu denken geben sollte – saß ich kurz danach vor dem auswertenden Radiologen. Mit norddeutscher Redseligkeit bekam ich zwei Sätze mit auf den Weg:
1. Sie haben einen sehr großen Hirntumor.
2. Wenn Sie den nicht innerhalb von vier Wochen operieren lassen, sind Sie tot.
So fix kann sich das Leben ändern. Draußen schien die Sonne, nur nicht mehr für mich.
Dank des phantastischen Neurochirurgen Prof. Dr. Dr. Madjid Samii habe ich die Aktion erstaunlich gut überlebt. Dennoch mußte ich ein Jahr sehr hart trainieren, um meine körperlichen Defizite zu reduzieren. So ganz unbeschadet geht man ja nicht aus einer 12-stündigen Operation.
Mit der Hirntumor-Operation traten Gesichtsnervenschmerzen und Dauer-Migräne in mein Leben
Und diese massiven Schmerzen bestimmten seit 1997 mein Leben. Fünf bis sieben Tage die Woche. Macht inzwischen viele Tausende besch…, unerträgliche, quälende, verschenkte, zugedröhnte Tage.
Es gibt kaum einen Reiz, der den Schmerz nicht triggert: flackerndes Licht, Neonleuchten, Sonnenstrahlen, Wärme, Wetterwechsel, bestimmter Luftdruck, chemische Gerüche von Farben, Lacken, Klebern, Lösungsmitteln uvm, Nahrungsmittel, Stress, Lärm, Unruhe, Wind im Gesicht, schlechter Schlaf, zuviel Schlaf, gar kein Schlaf.
Wenn mich ein Mann zu Candle Light Dinner mit Chateau Dingenskirchen und lecker Fischgericht einladen will, kann ich nur müde lächeln und freundlich fragen, ob wir den Teil überspringen. Freuen sich beide Beteiligte.
Nachdem ich den gesamten Markt an Schmerztherapien eher mäßig erfolgreich durchgetestet hatte, fand ich mich zähneknirschend mit der Situation ab.
Dann lebe ich eben fast rund um die Uhr in meiner reizfreien Wohnung.
Dann arbeite ich eben nur noch im Homeoffice von Zuhause und bin keine Projektmanagerin mehr. Dann genieße ich meine kleinen Ausflüge in die Welt der Gesunden eben doppelt und auf Vorrat.
Es folgten Operationen an der Bandscheibe und der Achillessehne und am Knie
Kaum war ich mit dem Abfinden fertig und fand mein Leben auch so recht nett, riß die Bandscheibe. Not-Operation, Krankenhaus, monatelange Einschränkung.
Wie die Gesichtsnervenschmerzen in der Phase explodierten, überlasse ich mal Deiner Phantasie.
Ich lag mit Stufenlagerung auf meinem Bett und las in den folgenden Wochen Anna Karenina in einem Zug durch. Aufgemuntert hat mich das nicht. Also stand ich wieder auf.
Shit happens, dachte ich mir und übersprang die Reha. Nicht noch ein Krankenhaus! Umzugskartons auf den Schreibtisch gestellt, Laptop darauf und im Stehen weiter gearbeitet.
Die Beweglichkeit kam wieder. Die Beweglichkeit kam so wieder, daß ich mir zwei Jahre später tatsächlich überlegte, Sport zu treiben. Das tat ich genau einmal. Dann lag ich wieder im Krankenhaus: Achilles-Sehne gerissen. Sport ist Mord auf Raten
Und wieder deklinierten mir Ärzte vor, was ich künftig alles als Hobbies nicht mehr machen darf. Ich befand es an der Zeit, mir eine Beschäftigung zu suchen, die krankenbettkompatibel ist. Und so begann ich, zu schreiben. Das strengt mich nicht einmal an: was in meinem Blog steht, geht mir sowieso durch den Kopf. Genau so.
Verletzungsintensive Sportarten mied ich künftig. Was meinen Körper aber auch in den Folgejahren keineswegs daran hinderte, mich immer wieder in Krankenhäuser zu manövrieren. Ich lernte auf die brutale Art, mich mental immer wieder selber an den Haaren aus abgrundtiefer Verzweiflung und Einsamkeit zu ziehen.
Nach meiner 11. Narkose kam ich gar nicht mehr auf die Beine
Ich wurde immer vergeßlicher. Und unkonzentrierter. Es begannen Phasen in denen ich locker zehn Tage am Stück nicht mehr schlief. Und damit meine ich nicht dieses “Ich habe nicht geschlafen – aber eigentlich doch, nur schlecht.”, sondern maximal drei zusammengedämmerte Stunden pro Nacht.
Dazu Bauchschmerzen und dauerndes Herzrasen und Häufchen blauer Flecke auf den Beinen und Restless Legs und Tinnitus und Hitzeattacken und verschwommenes Sehen und Magenprobleme und was ein Körper sonst noch so hergibt. Mit diesen und vielen anderen Symptomen schlurfte ich von Arzt zu Arzt. Niemand glaubte mir, wenn ich gewisse Zusammenhänge zu Nahrung oder Chemikalien ansprach. “Das kann nicht sein.”
Selbst im für mich perfekten Stockholmer Klima und mit entsprechend deutlich weniger Gesichtsnervenschmerzen, pendelte ich im Sommer 2012 fast ausschließlich zwischen meinem Job-Laptop und meinem Bett.
Ist ja klar, daß Du irgendwann zusammenbrichst, nach allem, was Du seit vielen Jahren durchmachst, sagte die meisten. Korrekt. Aber es schien noch irgendwas anderes dahinter zu stecken.
Essen, das ich kochte, vermochte ich oft vor Schwäche nicht mehr zu essen. Und bis ich mich erholt hatte, war es kalt. Die Tage vergingen mit drei Handgriffen, die ich früher in einer halben Stunde erledigt hätte. Mit Besuch unterhielt ich mich meist im Liegen, weil selbst Sitzen zu anstrengend war. Reden oft auch.
Drei Jahre lang lag ich fast durchgehend mit Chronischer Fatigue im Bett
Durch einen glücklichen Zufall lernte ich recht früh in dieser Phase eine Patientin mit denselben, scheinbar unvereinbaren Symptomen kennen. Ich ließ mich auf ihre Krankheit hin untersuchen und weiß nun, daß ich auch eine Mastzellerkrankung habe.
Sie ist nicht heilbar und schwer therapierbar. Es hat einige Jahre gedauert, bis ich mich so weit auf die vielen verschiedenen Medikamente und 5.000 dringend einzuhaltenden Lebensumstände eingestellt habe, daß ich wenigstens überhaupt mal wieder aus meiner Wohnung komme. Wenn man sowieso schon nahezu täglich Migräne durchlebt, bleibt zwar nur noch eine kleine Schnittmenge, aber die zählt dann doppelt und dreifach!
Ich begann, mich mit Umweltmedizin zu beschäftigen. Und bemühe mich seither konstant, meine Lebensumstände so zu verbessern, daß mein Körper möglichst wenig Gründe findet, entzündet zu sein.
Welche Verbesserungen ich schon erreicht habe und wodurch und wie ich bei all dem Dauertheater trotzdem die Nerven behalte und lebenswerte Augenblicke genieße, erzähle ich Dir hier auf meinem Blog.