Das läßt nach

Die schmalen Lackpumps drücken erbärmlich.

“Das läßt nach”, sagt die Verkäuferin mütterlich und lächelt sie aufmunternd an. “Alles Gewöhnungssache.”

Sie nickt und möchte es glauben.

Hauptsache raus aus dem Geschäft, in dem die Luft steht wie Säulen aus Leder und Imprägnierung, Schweiß und Hektik.
Nur fort von den zehn linken Schuhen, die vor ihr liegen, weil sie noch weniger gepaßt haben, als die, welche sie letztendlich kauft.

Zuhause stellt sie den pinkfarbenen Karton direkt in den sorgfältig sortierten Kleiderschrank. Ganz unten zu den anderen eleganten Schachteln und dem chicen Sportdreß, der sie auch nicht in Bewegung brachte.

Ihren Neuerwerb vergessend, legt sie sich auf das cremefarbene Sofa und schaltet die BoulevardSendung ein.
Wie jeden Tag um 18 Uhr.

Wissend lächelt sie in sich hinein, als die schlanke Moderatorin mit den perfekten Brüsten die Trennung von Jennifer und Brad bekannt gibt.

Wie jeden Abend, wenn der Schlüssel sich energisch im Schloß dreht, greift sie schnell zu der Fernbedienung. Als er die Tür zum Wohnzimmer öffnet, ruht die Mattscheibe in unschuldigem Schwarz.

“Hallo, Schatz.”
Sie schließt das Buch in ihrer Hand. Anstrengend ist sein Tag gewesen.
“Ja, hier war auch alles OK.”

Am liebsten wäre es ihr, er würde einfach gar nichts sagen. So wie früher. Sie in den Arm nehmen, an sich drücken und wortlos mit ihr auf das elegante Sofa zurücksinken.

Aber das geschieht nicht. Nie geschieht das.

Das Knacken seines Laptops, der in die Dockingstation auf dem Schreibtisch einrastet, nimmt sein “Nicht böse sein.”, voraus. Die vier Töne der Windows-Melodie schlucken ihre müde Antwort.

Lautlos deckt sie den Küchentisch.
Zwei Teller, zwei Messer, zwei Gläser.
Wie jeden Morgen und jeden Abend. Seit Tagen, seit Monaten. Seit fast vier Jahren.

Sie würde rufen, wenn sie fertig ist. Und unruhig mit den Strümpfen auf dem kalten Küchenboden hin und her fahrend, würde sie den neusten Geschichten aus der Managerwelt lauschen.

Und zurückdenken an den einen Tag.
Den perfekten Tag.

Die Kirchenglocken hatten ihr hell und fröhlich den Weg geläutet, als sie neben ihrem Vater aus dem großen, schwarzen Auto stieg.

Seinem auffordernden Blick mit einem scheuen Lächeln antwortend, war sie aus der strahlenden Frühlingssonne in den von Kerzen beschienenen gotischen Kirchenraum eingetreten.

Aufmunternde Blicke hatten auf ihr geruht.
Für einen kurzen Moment war eine Idee in ihren Gedanken geschlüpft, war einer frischen Brise gleich durch ihren Körper geflattert, bis sie sich in Form eines kleinen Lächelns auf ihren zartrosa Lippen niederließ.

“Wie glücklich sie aussieht”, dachte ihre liebste Freundin, als sie ihren geschmückten Kopf von der Seite betrachtete.

Und sie, sie dachte an New York.
Die pulsierende Metropole, die Statue der Freiheit. Zu mehr, als zu einem kurzen Wochenende hatte die Zeit bisher nie gereicht.
“Die Firma, Schatz”.

Tränen waren brennend in ihren Augenwinkeln aufgestiegen und kitzelnd über ihre gepuderten Wangen gelaufen. Sie hatte sie gezwungen, die lichten Bilder beseite zu schieben.

“Man kann nicht alles haben, Kind.”

“Ja, ich will”, hatte sie entschieden in die erwartungsvolle Stille hinein gesagt.

Denn irgendwann, da läßt der Schmerz nach.

© 2006