Jedes Mal, wenn ich von einer längeren Zeit in Schweden zurück nach Deutschland komme, bin ich ein wenig pikiert. Ganz schön viel zu tun noch in puncto Gleichberechtigung von Mann und Frau, denke ich dann, und sinke ermattet ob der Erkenntnis in meine Sofakissen.
Dann verdrängen wichtigere Themen diesen Gedanken. Daß Millionen Menschen auf der Flucht vor grausamem Krieg sind zum Beispiel. So schalte ich öfter, als es mein Nervenkostüm zuläßt, Nachrichtensendungen ein oder lese Artikel in wichtigen deutschen Tageszeitungen. Und was sehe ich vor allem?
Männer.
Männer, Männer, Männer.
Männer aus Syrien.
Männer aus Afghanistan.
Männer aus dem Irak.
Länder, die auf einer Rangliste von Staaten, die die Gleichberechtigung der Frau praktizieren, ganz oben rangieren. Wenn man einen Kopfstand macht.
Und das soll mich als Frau nicht beunruhigen?
Männer, die mir im Alltag bisher unangenehm aufgefallen sind, weil sie mir verbal oder nonverbal klarmachen wollten, daß ich als Frau einen deutlich geringeren Status habe, besaßen meistens einen islamisch geprägten Migrationshintergrund.
Damit will ich selbstverständlich nicht sagen, daß Männer aus diesem Kulturkreis sich per se negativ verhalten. Viele sind besonders zuvorkommend zu Frauen. Sie sind mir also umgekehrt auch öfter positiv aufgefallen.
Aber besonders zuvorkommend zu Frauen zu sein, ist auch ein Indiz dafür, daß man die Geschlechter nicht für ebenbürtig erachtet. Das habe ich erst durch mein Zweitleben in Schweden begriffen. Hier ist niemand zuvorkommend zu Frauen, nur weil sie Frauen sind. Selbst, wenn Du als Frau eine Schrankwand alleine über die
Straße schleppst, würde ein schwedischer Mann drumherum radeln. Aber das ist der Preis, den wir Frauen zahlen müssen.
Haben wir aktuell keine anderen Sorgen als die Gleichberechtigung der Geschlechter?! Jetzt, im Jahr 2015, sicher schon.
Fragt sich aber auch, ob wir die aktuellen Sorgen überhaupt hätten, wenn sich die europäische Politik mal für 3 Cent Gedanken darüber gemacht hätte, wie sie vorgeht, falls sich irgendwann ganze Flüchtlingsströme gen Europa in Bewegung setzen. Und nicht erst, wenn schon Millionen unregistriert durch die EU ziehen.
Genauso wie mit der Flüchtlingswelle wird es uns mit dem Thema Gleichberechtigung ergehen, wenn wir jetzt in 2015 nicht bereits zehn Jahre weiter denken.
Huch, meine kleine Tochter fragt mich, warum sie unrein sei.
Huch, mein neuer Mitarbeiter läßt sich von mir keine Arbeitsanweisungen erteilen, weil ich eine Frau bin.
Huch, schon wieder ein Stadtteil, in den ich mich als Frau nicht mehr hineintraue, weil dort nur Männer auf der Straße unterwegs sind, die es ein Unding finden, daß ich als Frau im Leben außerhalb der Hauses überhaupt stattfinde.
Die neuen Schätzungen für 2015 sind 1,5 Millionen Asylbewerber. Rund 75% davon sind Männer. Mehr als eine Million Männer, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht meiner Auffassung von emanzipiertem Miteinander sind.
Wenn 70% der 2015 Eingereisten Asyl gewährt wird und diese in den nächsten Jahren im Schnitt drei Familienangehörige nachholen, wären wir bei 4,2 Millionen neuen Mitbürgern. Das sind auf 2015 bezogen, zusätzliche 5% unserer Bevölkerung, die in einer männerdominierten Kultur aufgewachsen sind. Sich ausschließlich auf die Versorgung mit Nahrung, Wohnung und Arbeit zu konzentrieren, wäre deshalb kurzsichtig. Wir müssen von Beginn an in Sprachkursen, Kindergärten, Schule und beruflicher Bildung jede Gelegenheit nutzen, nicht zur Diskussion stehende Fundamente unserer Gesellschaft zu vermitteln.
Wer Deutschland als neue Heimat wählt, wählt auch unsere Gesellschaftsform
Die meisten Menschen, die aktuell zu uns kommen, haben schlimmste Abgründe erlebt: Krieg, Gewalt, Tod, Abschiede und tiefste Angst. Für jeden Einzelnen von ihnen tut es mir von Herzen leid, was er erfahren mußte. Und ich wünsche mir sehr, daß sie hier ihren Frieden finden.
Ihre Heimat haben sie unfreiwillig verlassen. Nach Deutschland aber sind sie freiwillig gekommen. Deutschland ist kein Nachbarland von Syrien. Wer sich auf den langen, gefährlichen Weg durch andere sichere Länder zu uns begibt, hat sich aktiv dafür entschieden, die Hilfe der deutschen Gemeinschaft zu suchen.
Wer diese Entscheidung getroffen hat, muß bereit sein, sich der Mehrheit der hier Lebenden anzupassen. Integration darf sich nicht darauf beschränken, hier zu arbeiten, freundschaftlichen Kontakt zu Einheimischen aufzubauen und Steuern zu zahlen. Integration kommt von integrare, heißt wörtlich “erneuern, geistig auffrischen”.
Auch uns Alt-Einheimischen tut es gut, unsere Gesellschaft von anderen Denkweisen und Lebensstilen “auffrischen” zu lassen. Ein Dialog der Kulturen ist eine Bereicherung für beide Seiten. Aber nur, wenn wir dabei die wertvollen Errungenschaften der Aufklärung nicht aufgeben. Nicht aus falsch verstandener Toleranz anderen Religionen gegenüber und nicht aus Angst, mit dem Totschlagargument unserer Historie niederargumentiert zu werden.
In Schritten so zäh wie Pattex haben sich Frauen erstritten, was ihnen seit der Steinzeit gehört. Gefühlt vor einer Woche erhielten wir in Deutschland das Wahlrecht, gefühlt seit gestern darf ein Ehemann nicht mehr über die Berufstätigkeit seiner Gattin entscheiden. Rückblickend ein schlechter Witz.
Heute können wir Frauen uns in Deutschland frei und ungezwungen in der Öffentlichkeit bewegen. Davon möchte ich nichts verlieren. Nicht einen Millimeter!
Frau Merkels vielzitierter Satz bedarf meiner Ansicht nach also einer Ergänzung:
Wenn Frauen, die in unserem Land leben, sich plötzlich in irgendeiner Form einschränken müssen, um niemanden in seiner religiös motivierten Weltsicht zu provozieren, dann ist dies nicht mehr mein Land.
Wenn künftig noch mehr Frauen in Deutschland zwangsverheiratet, ermordet, beschnitten, mißbraucht oder einfach “nur” dominiert werden, dann ist dies nicht mehr mein Land.
Wenn nicht jedes Vergehen in Flüchtlingsunterkünften mit derselben Härte und Konsequenz wie außerhalb bestraft wird, damit der kleine Teil renitenter, krimineller Gäste nicht das Bild aller Flüchtlinge in den Dreck zieht und damit Rechtsradikalismus Nahrung gibt, dann ist das nicht mehr mein Land.
Wenn wir aber die zu uns flüchtenden Frauen und Mädchen besonders schützen und fördern, weil ihr Abstand in Ausbildung und Selbstbewußtsein zu uns Einheimischen in der Regel größer ist als der ihrer Männer, dann ist dies mein Land.
Dann werde ich hoffentlich in zehn Jahren hier vor dem PC sitzen und schreiben, wie stolz ich auf unser Multikultiland bin.
Nicht nur, weil es mehreren Millionen Menschen eine neue Heimat gegeben hat, sondern als Bonus die zugewanderten Frauen aus Lebensoptionen wählen konnten, die ihnen in ihrer Heimat nicht zur Verfügung gestanden hätten. Nicht jede Frau muß emanizipiert leben. Aber jede soll es können dürfen.
Die Einwanderin, die traditionell weiterleben möchte, lebt traditionell weiter.
Und die andere? Sie wird vielleicht unsere nächste Bundeskanzlerin.
Ich würde mich darüber freuen!