Aller Anfang ist schwer.
Das erste Buch aus dem Regal zu ziehen und für immer in andere Hände zu geben, fühlte sich an, wie mir selbst einen Arm zu amputieren.
Oh Herr, das arme Buch. Stand hier immer so unschuldig bei seinen lieben Freunden. Und ich Schuft, rupfe es heraus, als hätte es Böses verbrochen und gebe es in einen miefigen Laden.
Begrabbelt wird es von fremden, schmutzigen Händen, verächtlich wieder ins Regal gestellt. Vielleicht bleibt es dort wie ein Waisenkind, das immer wieder im Heim landet. Und nur die von der Masse Geliebten werden mitgenommen drumherum, diese ganzen platten 50 Shades und Harry Potters. Mein Buch aber wird dort stehen in kalten, einsamen Nächten, wenn das Neonlicht der Außenbeleuchtung Schlaf raubt und sich fragen, was es falsch gemacht hat bei mir.
So ging es mir beim ersten Buch und auch noch beim 200. Dann wurde alles plötzlich sehr leicht. Denn ich hatte begonnen, die Fragestellung umzudrehen.
Fragt Euch nicht: Kann ich auf dieses Buch verzichten?
Fragt: Welche meiner Bücher würde ich bei 50 Grad im Schatten ohne Aussicht auf Wasser tagelang auf meinem Rücken durch eine Wüste schleppen?
Ihr glaubt gar nicht, wie fix die Auswahl dann vonstattengeht.
Meine zweite Aufgabe war, ehrlich zu mir zu sein. Oft sind wir nämllich nicht ehrlich, wenn wir an Dingen festhalten. Schon gar nicht bei Büchern. Eigentlich wisen wir, daß wir fast nie ein Buch zweimal lesen. Aber wir behalten es und geben ihm Raum, uns zu stressen. Warum?
Weil wir eitel sind.
Ja, das mußte ich mir eingestehen. Ich war ein wenig eitel, was ich alles für kluge Literatur gelesen habe. Die Bücher im Regal waren der Beweis. Aber brauche ich einen äußerlichen Beweis, daß ich nicht auf den Kopf gefallen bin? Nein. Brauche ich nicht. Also weg mit all jenen Exemplaren niveauvoller Literatur, die mein Leben nicht bereichert haben. Goethes Gedichte konnte ich schon im Studium nicht leiden. Jetzt ist es raus. Thomas Mann aber bleibt. Ein Mann für die Ewigkeit.
Weil wir uns mit einem Archiv verwechseln.
Gerade Nachschlagewerke haben eine penetrante Anhänglichkeit. Da könnte ich schnell nachschlagen, wenn die Hortensie den Kopf hängen läßt. Mache ich das? Nein. Ich google. So wie ich überhaupt alles google. Sogar Packungsbeilagen von Medikamenten. Die ich immer sorgsam in einem kleinen Karton aufbewahre. Falls ich mal was nachschlagen möchte. Wenn ich aber mal was nachschlagen möchte, habe ich gar keine Lust, mich durch den kompleten Karton zu ackern. Als chronisch Kranke gleicht der nämlich inzwischen einem Kompendium für angehende Apotheker.
Wozu also der Karton?
Und tschüß!
Und wozu die Nachschlagewerke, deren Inhalte ich ebenso gut googlen kann?
Und tschüß!
Weil wir geizig sind
So lange die Gegenstände hier herumstehen, scheint das dafür ausgegebene Geld nicht verloren. Die damals super hochwertigen Walkingstöcke. Paar mal gewalkt. Kopp mochte das Gehämmer nicht. Seitdem stehen sie hier im Eck und erinnern daran, daß jeder Gang rund 20€ gekostet hat.
Der sündhaft teure Smoothiemaker, der nicht mehr brummt, seit wir lieber wieder feste Nahrung zu uns nehmen. Die süße kleine Designer-Handtasche für die besondere Gelegenheit, die nicht kommt. Und in meinem Leben sowieso nicht mehr. Das hat doch Geld gekostet! Viel Geld. Hat es. Das Geld ist weg. Und der Sinn der Sachen auch.
So lange sie unbenutzt hier herum stehen, treten sie uns jeden Tag aufs Neue in den Magen. Und wir verlieren jeden Tag noch mehr Geld. Weil wir mehr Quadratmeter mieten als nötig für Dinge, die wir eigentlich gar nicht mehr benutzen. Auch, wenn sie nigelnagelneu sind.
Und tschüß!
Wir leben jetzt bei der zauberhaften Fitneßtrainerin von schräg oben |
Weil wir Hamster sind
Die eigene Höhle sicher zu machen, ist ein Urbedürfnis. Wir wollen für alle Fälle gerüstet sein. Fragt Euch, wie oft die Fälle eintreten. Wie oft geht uns außerhalb der Ladenöffnungszeiten ein Fön kaputt und wir sind dankbar, seit 20 Jahren einen zweiten in der Schublade zu haben? Wenn nicht mein Reisehaarfön ist, so gut wie nie.
Trotzdem haben wir von allem mehrere Ausführungen. Oder wir bewahren die alten Modelle auf, wenn wir uns Neue kaufen. Man weiß ja nie.
Inzwischen haben die großen Ketten aber mindestens bis 21 Uhr geöffnet. Und wer fönt sich schon nachts die Haare?
Also adios amor!
Weil wir für einen Zweck diverse Optionen bereit halten
In meinem Krug für Küchenutensilien lagerten rund 20 Stück. Ich zog fünf Messer heraus. Und fragte mich, was ich mit vier davon eigentlich zubereite. Egal, welcher Fall eintritt, ich koche immer nur mit dem einen. Weil es super ist, gut in der Hand liegt und ich es mag. Ja, man kann auch Küchenmesser mögen. Die anderen vier stehen da doof herum und machen den Jogi Löw.
Jetzt nicht mehr, denn ich habe sie mit ein paar Kubikmeter anderen Dingen dem Frauenhaus gespendet. Honi soit qui mal y pense.
Weil wir für Busladungen an Gästen, die nie einfallen, Dinge vorhalten.
Einen Fleischklopfer zum Beispiel. Wofür um Himmels Willen besitzt eine Vegetarierin einen Fleischklopfer? Ich vermute, der war mal bei einem Set dabei. Oder bei einem Mann. Ich mußte mir ja immer so Steaktypen anlachen.
Fleisch gibt es in meinem Haushalt aber nicht mehr. Auch nicht für Gäste. Also raus damit.
Suppenkelle. Also, Frau E., jetzt ist aber mal Schluß. Eine Suppenkelle braucht jeder Haushalt. Tatsächlich? Ich esse keine Suppe. Kaum ist sie drin, hab ich schon wieder Hunger. Ja, aber wenn mal Besuch kommt. Warum sollte es Suppe geben, wenn ich selber keine mag? Wenn ich irgendwo zu Besuch bin, fangen die Gastgeber ja auch nicht an, allergikerkonforme Reisorgien zu sich zu nehmen. Zack, weg.
So einfach geht das. Ruck, zuck, waren einige Kisten mit Haushaltswaren, Geschirr, Bettwäsche, Handtüchern, Kleidung etc gefüllt. Und weil ich auch gerne einmal woanders spende und der Oxfam-Laden langsam aus allen Nähten platzt durch meine Sortier-Exorzismen, ging diesmal alles ans Frauenhaus Düsseldorf. Hier kann man anrufen, beschreiben, was man abgeben möchte und die nette Dame vereinbart dann mit einem einen neutralen Ort der Übergabe.
Weil wir nostalgisch sind
Das bestickte Taschentuch von Oma, der Reisewecker von Tante Helga, die Kassette von der ersten großen Liebe. Es gibt Dinge, die mag man nicht aus der Hand geben. Auch, wenn man sie fast nie in Händen hält. Weil sie im Keller wohnen, wo sie langsam den Modergeruch annehmen, der sowieso verhindert, daß sie jemals wieder hoch in die Wohnung dürfen.
Und weil wir sie nur mal mit kurzem Seufzen in den Hand nehmen, während wir in den Kisten eigentlich etwas anderes suchen. Trotzdem: einfach so auf den Müll werfen? Ja, das ist schon etwas für Fortgeschrittene.
Aber wir sind ja inzwischen Fortgeschrittene! Deshalb machen wir ein hübsches Foto davon. Oder auch zwei. Und lagern alles in einem Ordner namens “Fotografierte Erinnerungsstücke”. Dann warten wir, bis wir wieder einen Tag überbordenden Befreiungsbedürfnisses haben und werfen die Sachen ganz fix in die Mülltonne. Am Besten am Tag vor der Leerung. Aber nicht nachts im Schlafanzug nochmal in den Tonnen herumwühlen!
Außer, Ihr fangt nachts um zwei Uhr an, zu überlegen, wo eigentlich die Tüte mit Ommas Schmuck war. So wie ich. Dann dürft Ihr auch in Pantoffeln den Kopfsprung in Nachbars Müll starten.
Der Lohn des Aussortierens ist Freiheit! Wer nicht viel besitzt, kann sich leichter bewegen. Kann besser denken. Muß weniger aufräumen. Und sich weniger Sorgen machen, daß seinem Besitz etwas zustößt. Wo nix ist, kommt auch nix weg. Wissen die Gehirne von RTL II-Zuschauern schon seit Jahrzehnten.
Aber überfordere Dich nicht in Klammerphasen!
Meine härteste Aufgabe: die Kiste mit den Promotionsunterlagen sortieren. Die schönste Zeit meines Lebens! Bis der Hirntumor meine Forschungen beendete. |
Es gibt Zeiten, da möchtest Du sowieso gerne frei sein. Nutze diese und versuche, jetzt so schnell und radikal wie möglich auszusortieren.
Gib alles SOFORT weg. Laß die Tüten auf keinen Fall in Flur oder Keller herumstehen.
Denn übermorgen hast Du vielleicht Hormone. Wir Frauen wissen, was ich meine. In bestimmten hormonellen Phasen bin ich anlehnungsbedürftig wie ein gerupftes Entlein. Dann lehne ich mich an alles an. Hausrat, Bücher. Mental natürlich. Real lehne ich mich an meine Decke an und möchte ein Zuhause. Aber ich weß, daß es kein Zuhause gibt. Das eigentliche Zuhause bin ich selbst.
Die Dinge, die mich umgeben, sind nur eine Illusion. Von Geborgenheit und Stabilität. Letztentlich sind wir aber alle allein. Egal ob verheiratet, Eltern oder Single. Und das Leben kann uns in jeder Sekunde komplett aus der Bahn werfen. Ich weiß, wovon ich rede.
Wir müssen lernen, unsere Füße mit jedem fühlbaren Millimeter im Boden zu spüren. In uns verwurzelt sein. Nicht in Dingen und Erinnerungen. Es gibt nur einen Weg und der geht nach vorne. Und auf dem ist es gut, nicht über Gedöns zu stolpern.
Letztendlich gibt es nur sehr wenige Dinge, die wir wirklich vermissen würden. Welche die sind?
Überleg, was Du greifen würdest, wenn das Haus in Flammen stünde.
Und genau diesen wenigen Gegenständen gehört Dein Herz wirklich.
Der Rest ist entweder notwendiges Übel oder Ballast.
Und den laß los.