Es gibt Texte, die habe ich schon zigmal so oder so ähnlich begonnen. Und dann wieder verworfen. Weil ich denke: Oh je, die radikale Wahrheit über mein Leben mit ME/CFS und MCS, meine Verzweiflung, meine Hoffnungslosgkeit und Suizidalität, die kann ich meinen Lesern doch nicht zumuten.
So habe ich auch auf einen Jahresrückblick 2018 verzichtet. Denn bei genauer Betrachtung fiel mir auf: meine größte Leistung in 2018 war, mir nicht das Leben genommen zu haben. Und das war nicht das erste Jahr, wo das so war. Über so was schreibt man nicht, ich weiß. aber dann ist man irgendwann einer von den vielen Umweltkranken, die still und leise gegangen sind.
Und alle werden sagen: Ja komisch, die war doch immer so gut drauf. Nö. Nicht wirklich. Ich raffe mich nur immer wieder auf, obgleich die Kraft dazu immer geringer wird. Recherchiere Lösungen. Immer und immer wieder. Aber Nervengifte einzuatmen produziert eben alleine schon – zusätzlich zur objektiv unhaltbaren Lage – schwerste Depressionsschübe.
Daß ich so kurzfristig und so radikal kürzlich in das Paradies vom Gutshaus Stellshagen aufgebrochen bin, lag daran, daß ich merkte: mein System steht kurz vorm totalen Zusammenbruch. Ich werde sterben, wenn ich noch einen einzigen Tag in meiner Neubauwohnung mit 1.000 Wohngiften und 25 WLANs verbringe.
Seit Wochen schon hatte ich zu allem anderen konstant Herzschmerzen und ich glaube, der Mensch merkt, wenn das System kurz davor ist, ganz dicht zu machen. Spätestens an den vielen Anti-Schock-Medikamenten und Schmerzspritzen, die ich brauche. Mein Leben ist seit 21 Jahren ein täglicher Kampf gegen Schmerzen, Chemie, Reize und vieles mehr. Irgendwann ist halt mal Feierabend.
Todesfalle Neubauwohnung
Mir ist ja ziemlich schnell nach dem Einzug in diese Neubauchemiehölle klargeworden, daß ein 6 Jahre alter Neubau immernoch so unfaßbar viel ausgast, daß ich schnellstens da raus muß. Ich war bei der Besichtigung nicht mal auf die Idee gekommen, gegen die Wände zu hämmern. Bisher hatte ich immer in Häusern zwischen Baujahr 1900-1973 gewohnt, da hatte man noch Mauern aus Stein und nicht so einen kleberlastigen Ständerwerkmist.
Mein Meßgerät für TVOC (Total Volatile Organic Compounds, die Summe verschiedener Flüchtiger Organischer Verbindungen) zeigt trotz stündlichem Querlüften Werte weit über dem vom Umweltbundesamt empfohlenen Grenzwert von 0,3 mg/m3.
Meine Werte liegen gerne mal zwischen 0,8 und 3mg/m3, also je nach Hitze oder Lüftungszustand bis zu 10x so hoch. Eine kerngesunde Freundin, die mal hier übernachtete, hatte trotz offenem Fenster die ganze Nacht Übelkeit und bekam dann Migräne. Andere Gesunde sagten auch schon, hier röche es “irgendwie chemisch”.
Daß ich als schwerst Kranke, fast ständig Bettlägerige, da jetzt nicht offziell gegen vorgehen kann, versteht sich von selbst. Ich muß hier raus. Schnell. Und obwohl ich jeden Tag viele Stunden immer neue Ideen durchforste – und das seit Sommer 2017 in jeder Minute, die ich mein Smartphone halten kann -, habe ich bis heute keinen Unterschlupf entdeckt, bei dem ich nicht vielleicht vom Regen in die Traufe komme. Denn eine potentielle Schimmelgefahr muß ich eben auch bedenken.
Verzweifelte Suche nach Wohnoptionen mit MCS
Ich habe nach richtigen Mietwohnungen gesucht (brauchte ich fast nie anzurufen wegen “frisch saniert” oder Laminatboden), nach Ferienwohnungen (die meist nicht gerade erst renoviert wurden, dafür aber fette Ledersofas und auch der Laminatboden drin haben).
Ich habe Campingplätze besucht (Nein, hier dürfen Sie nur Vollplastik-Mobilheime von Hersteller XY aufstellen) und Schrebergärten recherchiert (Nein, hier dürfen Sie gar nicht übernachten). Wobei die feucht aussehenden Gebäude mit Schimmelgefahr, die meist in der direkten Nähe von Bahnlinien oder anderen Strahlungs- oder Abgastriggern lagen, auch jetzt nicht so die wahre Option waren.
Ich habe sämtliche Kastenwagenoptionen durchdacht (schwierig, chemie- UND schimmelfrei zu isolieren, aber aktuell die am Schnellsten zu realisierende Option).
Ich habe Holzaufbauten aus dem mir einzig verträglichen Holz auf einem Transporter durchdacht und Zirkuswägen und Tiny Houses, was ich sowieso seit acht Jahren aus genau dem Grund durchtüftele. In dem Thema bin ich langsam Theorie-Profi und irgendwann wird das auch was werden. Wenn ich wieder mehr Kraft habe.
Ich habe Freizeitgrundstücke gesucht, egal ob erschlossen oder nicht.
Ich habe was zum Kaufen gesucht oder zum Pachten.
Ich habe die ganze Ostseeküste lang gesucht und in der Lüneburger Heide, gen Osten von HH und gen Westen. Denn im Norden muß ich wegen des Klimas ja schon bleiben.
Ich habe eine teure Suchanzeige in der Zeitung aufgegeben: NICHT FRISCH RENOVIERTE Wohnung gesucht. “Nicht frisch renoviert” fett gedruckt.
Drei Leute riefen an. Zwei der Wohnungen waren frisch renoviert (Wir dachten, das wäre ein Fehler in der Anzeige). Zur dritten fuhr ich mit all meiner Wochenenergie hin und stand in einem Albtraum, der seit dem Bau Ende der 60er Jahre nicht mehr angefaßt worden war. Also GAR gar nicht. Bei der Elektrik wurde mir schon etwas blümerant. Bei der keifenden Vermieterin, die neben mir gewohnt hätte, noch mehr.
Ich habe ungefähr 45.000 Telefonate mit Wohnungsbaugesellschaften geführt, die im Tenor bisher immer so ausgingen:
Nein, wir können Ihnen keine Wohnung unsaniert vermieten, das verstößt gegen unsere Standards/Regeln/Statuten oder was Deutschen sonst noch so einfällt, um den Goldenen Unflexiblen des Planeten zu gewinnen.
Verdammte Kacke, kann hier mal IRGENDJEMAND bitte kurz überlegen, wie das gedacht war mit der Integration von Schwerbehinderten in diese Gesellschaft???!
Daß man da manchmal auch flexibel reagieren muß und nicht jeder in ein Schema paßt? Ich brauch halt keine Rollstuhlrampe oder Blindenriffelboden. Ich brauche ja nicht mal etwas zusätzlich. Es soll nur was fehlen. Chemie-Boden und Anstrich. Von mir aus lebe ich auf Estrich, ist mir langsam auch wurscht.
Ich habe inzwischen schon Schlafsäcke für arktische Temperaturen angeschaut und bin bereit, mich phasenweise in einem Transporter tief in die Natur zurückzuziehen. Einen kleinen pestizidfreien Platz dafür habe ich jetzt immerhin schon gefunden.
Wenn man sich schwer krank keine Minute entspannen kann
Ich mache neben schweren Schmerzen, Übelkeit, 20 Vergiftungssymptomen, kaum Schlaf und dem Unbill des “normalen” Lebens – was mich körperlich schon maßlos überfordert! – wie Kochen, Aufräumen und der ständigen Krankheitsverwaltung nichts anderes, als konstant voller Verzweiflung zu recherchieren.
Nach einem kleinen gesunden Ort, wo ich nur in Frieden und ohne Gase und mit so wenig WLAN wie möglich im Bett liegen und einfach mal ne Runde krank sein darf. Das wäre mein größtes Glück.
Seit Jahren dreht sich wegen MCS jede denkbare Minute darum: wo und wie kann ich wohnen?
Ich lebe in ständiger Angst und Unruhe, jederzeit bereit, alles einzupacken und umzuziehen. Irgendwo hin, wo die Chance besteht, nicht konstant vergiftet zu reagieren. Und was nicht so weit ab vom Schuß ist, daß ich mein Leben alleine noch hinbekomme. Kann mich schlecht in die Arktis aufmachen, auch wenn es mich sehr in so eine reizarme Schneegegend ziehen würde.
So liege ich hier seit 1,5 Jahren in einem Zustand kurz vor Exitus in einer Hölle aus OSB-Platten, verklebtem und versiegeltem Holzparkett. Von den ständigen Geruchsschwaden meines dauerkiffenden Nachbarn unter mir ganz zu schweigen:
Wenn die Wohnung zu krank macht, um sie zu verlassen
Kurzum: diese wirklich wunderhübsche Wohnung war der größte Fehler meines Lebens. Ich sitze in der Falle und mein System rauscht immer weiter ab. Bis zur Unfähigkeit, mich daraus noch selber zu befreien.
Das ist die Ironie an der Lage: in der Wohnung werde ich so unfaßbar krank, daß ich nur noch liegen kann. Und wo? In der Wohnung mit ihren Wohngiften. Wenn es nicht so bekloppt wäre, könnte man fast denken, das hätte sich Kafka ausgedacht.
Heizen kann ich hier auch nicht, denn dann wird der giftige Boden durch die blöde Fußbodenheizung erwärmt. Und der Mix aus dem natürlichen Formaldehyd, das Eiche besonders hoch in sich trägt (bin langsam Holzspezialistin) PLUS dem ganzen Leim, mit dem die schmalen Holzstreifen verklebt sind PLUS der Parkettversiegelung dringt nach oben.
Ich mußte mir eine Marmor-Infrarot-Steinplatte kaufen, neben der ich mich kauere, um nicht zu erfrieren. Der einzig positive Effekt dieses Indoor-Campings: die für mich erträgliche Wohntemperatur habe ich inzwischen um fünf Grad runter trainiert. Lappland, ich komme.
Das ständige Tosen und Vibrieren meiner zwei Luftreiniger ist auch kein Geräusch, das ich sehr vermissen werde, wenn dies alles mal anders ist.
MCS bedeutet, nonstop auf der Flucht zu sein
Ich recherchiere permanent. Ich reiße mir den Ar.. auf. Überhaupt reiße ich mir seit 21 Jahren jeden einzelnen Tag den Ar.. auf. Erst, um nach dem Hirntumor schwer behindert schnellstens wieder zurück in die Gesellschaft zu finden. Dann, um mich darin zu halten, egal wie und fast bis zum letzten Atemzug noch mein eigenes Geld zu verdienen.
Dann um meine Schmerzen zu mindern, indem ich in den Norden ziehe. Dann, um den Rest hoffentlich auch noch zu mindern. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie das so ist, mal einen Tag frei zu haben. Andere haben Wochenende, ich kämpfe.
Wenn mich noch ein Arzt fragt “Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?!” gibt es einen Toten. Und ich bin es nicht.
Was es mit einem Menschen psychisch macht, rund um die Uhr dem Sprung zu sein, kein Zuhause zu haben, in ständiger Bedrohung zu leben, können wohl nur Menschen begreifen, die aus anderen Gründen verfolgt werden.
Doch selbst für Menschen, die aus religiösen Gründen fliehen, gibt es mehr Verständnis, als für Menschen, die akute Vergiftungen in unserer überzivilisierten Welt erleiden und keinen Ort mehr zum Leben finden. Dabei kann man sich Religion aussuchen. MCS nicht. MCS führt zu einer konstanten Flucht im eigenen Land.
Eine andere Betroffene nannte uns Umweltkranke mal “the new refugees“. Recht hat sie. Und wir werden immer mehr werden! Und trotz allem, was wir durchmachen, wird uns nicht geglaubt.
Niemand wäre so bekloppt, sich so eine umfassende Problematik auszudenken und sich das komplette Leben inklusive aller sozialer Kontakte dadurch zu ruinieren. Das kann man drehen und wenden wie man will: einen Krankheitsgewinn kann ich bei MCS nirgendwo entdecken.
Viele sind deswegen obdachlos und mäandern von Schlafstelle zu Schlafstelle. Mal hier bei Bekannten auf der Terrasse, mal dort in einem Gästezimmer. Manche schlafen in ihrem Auto. Auch ich täte das längst, wenn mein Auto nicht genauso unverträglich wäre. Und vielen liegen mit einem Schlafsack irgendwo im Wald. Auch das ist inzwischen für mich eine Option,
Einige tüfteln, wie ich auch, an einem Tiny House oder Ähnlichem. Was sehr schwierig ist, weil wir ja auch die meisten Holzsorten nicht vertragen. Und viele habe nicht mal mehr Geld für irgendeine andere Option, die werden von unserem Sozialsystem zum Sterben zurückgelassen. So “sozial” ist unser System.
Ich habe lange nicht glauben wollen, daß es in einem Land wie Deutschland kein Netz mit Notschlafstellen für Umweltkranke gibt. In der Schweiz existiert nun ein Haus. Aber was will ich in der Schweiz? Wie soll ich von dort in Deutschland weiter eine Bleibe suchen. Für uns Umweltkranke bleibt nur: Hilf Dir selbst, sonst hilft Dir keiner. Fragt sich nur wie.
Wenn das Leben entgleist vor lauter Gesundheitssystemtheater
In der Zeit, in der ich recherchiere, wie ich schnellstmöglich hier heraus komme, ohne vom Regen in die Traufe zu geraten, habe ich mich gesundheitlich noch weiter ins Aus gerockt. Und nervlich sowieso. Schließlich bin ich von Haus aus sehr ordentlich und durchorganisiert.
Nun liegt hier seit Monaten alles liegt hier herum wie Kraut und Rüben. Mein Bedürfnis nach einer sauberen Wohnung kann ich schon lange nicht mehr befriedigen. Die Krankheitsverwaltung ist seit letztem Sommer komplett aus dem Ruder geraten. Um mein angefahrenes Auto kann ich mich ebenso wenig kümmern wie um die lächerliche geringe Auszahlung der Versicherung. Ich muß alles hinnehmen. Ständig. Weil ich mich nicht mehr wehren kann.
“Sie bräuchten eine Pflegestufe”, sagten schon mehrere Ärzte, mit dem Nachsatz “Aber die werden Sie nicht kriegen bei Ihren Diagnosen.” Eine Pflegestufe ist vermutlich auch nicht das, was mir helfen würde.
Hilfe, wie ich sie bräuchte
Flexible Hilfe wäre nötig. Zuerst natürlich eine kleine andere Wohnung. Weniger Gifte, weniger neurotoxische Reaktionen. Ganz einfach.
Dann würde mir zum Beispiel extrem helfen, wenn es jemanden gäbe mit Hirn und seelischer Energie, der mir auf Zuruf einen Teil der täglichen Verwaltungsbedrohungstheaterbriefe von Krankenkasse, Versicherungen und Co. vom Hals hält. Der einfach mal gegenhält, wo ich es nicht mehr vermag. Der einzelne Themen selbständig übernimmt.
Damit ich nicht rund um die Uhr in Angst und Panik lebe, schon wieder 45 Fristen nicht eingehalten zu haben, um dieses oder jenes zum 70. Mal nur in anderer Formularform zu beantworten. Weil ich einfach nicht mehr kann vor lauter Erschöpfung und Brain Fog.
Ich fange bereits an zu Zittern, wenn ich meinen Briefkasten öffne. Das hätte ich nie von mir gedacht. Aber ich habe inzwischen Angst vor Ärzten und Co.
Nur wer kämpft, bekommt sein Recht und ich kann nicht mehr kämpfen. Wenn ich noch einen Antrag irgendwo stellen soll, springe ich aus dem Fenster. In 21 Jahren sind ALLE Anträge, die ich voller Mühen, Streß und Anstrengungen bei meiner Krankenkasse gestellt habe, abgelehnt worden. Alle. Egal, wieviele Widersprüche ich auf Kosten meiner Gesundheit formuliert hatte.
Zusammengerechnet habe ich schon monatelang nichts Warmes gegessen, um meine Winz-Energie in Widersprüche zu investieren und mit welchem Ergebnis? Ich bin noch kränker, noch verzweifelter und im Briefkasten liegen Absagen mit Argumenten, die klingen wie der blanke Hohn.
Wenn Mitmenschen einen noch mehr behindern
Und bei alledem kommt oben drauf noch die totale Ignoranz und das ständige “Angekacktwerden” von wildfremden Menschen, wenn ich es überhaupt mal aus dem Haus schaffe und nicht schnell genug bin oder irgendwas nicht sofort verstehe, weil mein Gehirn gerade mal wieder im tiefsten Nebel vor sich hin dümpelt. Null Toleranz.
Das ist meine Lebensrealität. Ich weiß, daß es vielen von Euch da vor dem Bildschirm ganz genauso geht. Und das macht mich traurig für Euch und stinkewütend auf unser System.
Mit der täglichen Migräne war ich noch integriert. Migräne ist bekannt und zumindest nachvollziehbar, weil jeder jemanden kennt, der auch darunter leidet.
MCS, ME/CFS und EHS (Elektrosensibilität) werden dagegen veralbert, psychiatrisiert und von unserem Sozialsystem vollkommen ignoriert. Und das seit Jahrzehnten, wie die Photos in diesem Text ja beweisen.
Seit sieben Jahren bin ich nun auch in dem schweren Ausmaß davon betroffen.
Bei allem Optimismus und Willen, mit dem ich versucht habe, immer neue Workarounds zu finden, bin ich inzwischen zu der bitteren Erkenntnis gelangt: Für mich gibt es in unserer “zivilisierten” Gesellschaft einfach keinen Platz mehr.
Und das ist ein verdammt besch.. Gefühl.
Daß es auch anders geht, sieht man in anderen Ländern. “Man” muß nur wollen. Und “man”, das ist ein jeder da draußen, der das Glück hat, (noch) nicht betroffen zu sein. Bitte helft uns!
P.S. Einige Beispiele im Gedenken an viele, die schon erfolglos gekämpft haben..