Der Himmel leuchtet Tommy Hilfiger-Blau, die Sonne strahlt und das T-Shirt des dicken Balkonstehers von Gegenüber ist Nikotinfarben.
Er raucht und starrt hinab.
Gestern rauchte er nicht und starrte hinab.
An den werde ich mich wohl gewöhnen müssen.
Die Menschen unten auf der Straße tragen fast nichts, was auf eine schwedische Hochsommertemperatur von 19 Grad hindeutet.
Perfekt!
Zufrieden sitze ich mit meinem selbstkreierten Papp de Luxe (plus Cashewkerne, Leinsamen und Feigen) am Küchentisch, trinke Grünen Tee und lese das kostenlose Käseblatt Vårt Kungsholmen.
Ich frage mich, was ein Rålis ist und lerne:
das ist die Abkürzung vom Rålambshovsparken in meiner Nähe.
Muß man erst mal drauf kommen.
Im Rålis wird gerne gestohlen, geraubt und belästigt.
Trotzdem – oder deswegen – ist er ein Anziehungspunkt zahlreicher Picknickfreunde.
Zudem steigen die Wohnungspreise entgegen der allgemeinen Einschätzung, Kungsholmer reisen mehr als die anderen Stadtteilbewohner und Ariel ist diese Woche im Sonderangebot.
Jetzt weiß ich, was ich wissen muß und richte meinen Arbeitsplatz am Küchentisch ein.
Das gibt mir die Illusion von mehr Räumlichkeiten.
Und passt gut zu meinem alternierenden Lüftungskonzept.
Denn in der „verkehrsgünstigen“ Lage muß ich mich entscheiden:
Luft UND Lärm oder keines von beidem.
Also öffne ich die Fenster, wo ich mich gerade nicht aufhalte.
Die schwedische Fensteröfftechnik
Gibt mir die Gelegenheit, die schwedische Fensteraufstelltechnik genauer zu betrachten.
Und festzustellen, dass hier mit einfachen Mitteln dasselbe erreicht wird, wie mit den aufwendigen und schadensanfälligen Konstruktionen in Deutschland.
Die deutsche Auf-Kipp-Technik erfordert mit drei Positionen ein komplexes Gebilde im Inneren des Rahmens.
Und wer jemals die falsche Position erwischt hat und plötzlich unter einem Fenster begraben wurde, das nur noch in einem Scharnier hing, kennt die Tücken des Systems.
Hier geht das Fenster entweder auf.
Oder zu.
Nun schreien die Kipp-Freaks.
Ganz ruhig bleiben!
Ein simples, geriffeltes Scharnier, unten am unbeweglichen Rahmen angeschraubt, erlaubt drei sturmgesicherte Aufstellpositionen.
Gut, die schnelle Runterdrücktechnik, wenn man das Fenster komplett geöffnet haben will, muß geübt werden, aber spätestens nach dem dritten eingeklemmten Finger klappt es tadellos.
Nach einem durchdringenden Blick in den Schrank sehe ich mich genötigt, Hemtex zu konsultieren, um dort zu Spottpreisen aufjaulschöne Handtücher zu erwerben, welche zuhause nur für horrenden Summen in speziellen Skandinavien-Design-Shops angeboten werden.
Mein erstes Mal in einer Tvättstuga
Am Abend habe ich meine erste Tvättstuga-Session gebucht.
In einer konzertierten Aktion werde ich sämtliche Laken, Einziehdecken und alles, was in der Wohnung sonst noch müffeln kann, waschen.
Im Waschkeller gibt es nicht nur einen Trockner, der in rasanter Zeit alles um die Hälfte reduziert, sondern auch einen Trockenschrank.
Das macht Sinn bei den schwedischen Temperaturen!
Würde man seine Wäsche in der Wohnung trocknen, wäre der gute alte Schimmelpilz sicher Dauergast.
In der Tvättstuga lerne ich Ingrid kennen.
Eine schnuckelige ältere Dame, die geduldig mein Waschmaschinenprogrammwahlproblem löst.
Sie wohnt im gleichen Gebäude.
Ich möchte unverfängliche Konversation betreiben und erzähle, daß ich im 2. OG zur Straße hin wohne.
Jag bor på gatan, sage ich.
Jahaaa, sagt Ingrid, mit dem typisch skeptisch klingenden Unterton im Jahaaa.
Aber sie schaut mich auch noch mitleidig an.
Det är ganska bråkig, sage ich.
Det tror jag, sagt sie.
Dann schaut sie wieder lange in mein Gesicht.
Och du?, frage ich.
Jag bor mot innergård, antwortet Ingrid.
Langsam dämmert es mir.
Ich habe ihr gerade erzählt, daß ich AUF der Straße wohne.
Oh, je.
Ich ersetze fix „på“ durch „mot“ und starte das Gespräch von vorne.
Nun ist auch der mitleidige Ausdruck in ihrem Gesicht verschwunden.
Die schwedischen Präpositionen und ich werden wohl auch während diesen Aufenthaltes keine Freunde.
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