Meine Freundin die Makulatur… |
Meine Nerven auch.
Fast bin ich versucht, den Zustand so zu lassen.
Vielleicht wird das ja Trend?
Ich ziehe wieder ins Schlafzimmer ein und atme tief durch.
Dummerweise verhaspelt sich mein Atem aber regelmäßig.
Auge und Atmung sind nämlich eng miteinander verbunden.
Männer wissen, was ich meine.
Das Ganze geht auch reziprok: Schnappatmung wegen akuter Häßlichkeit.
Die Unterschicht meiner abgerupften Rauhfasertapete ist nämlich Terracotta.
T-E-R-R-A-C-O-T-T-A.
Diese Farbwelt wirkt bei mir als natürliche Empfängnisverhütung
Abgesehen davon, daß es für meinen Geschmack in deutschen Wohnungen nur eine Wandfarbe geben sollte und die ist Weiß.
Klares, reines, pures Weiß.
Lediglich in Stockholmer Jugenstilaltbauten bekommt mein Zero-Tolerance-Gehabe leichte Risse.
Treten weiße Kachelöfen, Türrahmen und Holzdielen gemeinsam auf, darf es
durchaus auch mal ein mattes Steingrau an den Wänden sein.
Und selbst in dezentem Flieder habe ich mich schon wohlgefühlt.
Aber zurück zu meiner Baustelle.
Ich erwäge, die Wände komplett abzukratzen und den nackten Putz mit Biofarbe überzurollen.
Das erwäge ich genau zwei Stunden.
Denn so lange brauche ich, um mit einem Spachtel und 45l Wasser einen klitzekleinen Kreis auf meiner Wand freizukratzen.
Wenn ich das hochrechne, muß ich ein Sabbatical einreichen, um bis 2014 nackte Wände vor mir zu haben.
An dieser Stelle gönne ich mir einen kleinen Nervenzusammenbruch.
OK, vielleicht doch nicht so klein.
Am Ende höre ich auf meine Freundinnen, die beteuern, daß man einem Problem manchmal Geld hinterherwerfen muß.
Aka Handwerker.
Daran hatte ich zwar schon früher mal gedacht, bin dann aber in der schieren Flut der Namen in den Gelben Seiten untergegangen.
Und kam zu dem Schluß, daß Auswahl, Preisvergleich, Vorbesprechung und
Durchführung schlußendlich genauso viel Zeit in Anspruch nehmen, wie
wenn ich alles gleich selbst erledige.
Jetzt aber will ich gar nichts mehr selbst erledigen.
Nach vier Monaten BIN ich erledigt.
Ich will nur noch selbst die Schlafzimmertür öffnen und strahlen, weil
die Wände wieder tapeziert sind und weiß und nicht riechen.
Damit mir hier niemand vermeintlich gesunde Farbe an die Wand klatscht, kaufe ich diese in einem Bio-Farb-Laden ein.
Ein phantastisches Produkt aus gemahlenem Marmor und Kasein.
Und plötzlich löst sich auch mein Handwerker-Problem, denn mir fällt ein
supernetter Handwerker ein, der mir vor Jahren beim Ausschneiden meiner
Küchenarbeitsplatte geholfen hatte.
Nennen wir ihn Handwerker 1.
Handwerker 1 kennt Handwerker 2, der auch tapeziert.
Gemeinsam marschieren sie bei mir auf und ja, das ist doch alles kein Problem, Frau Ersfeld.
Am ersten Tag sieht alles ganz ordentlich aus.
Am zweiten Tag linze ich mit sorgendurchfurchter Stirn in die Baustelle.
Klatscht man Tapete wirklich in Fetzen an schwierige Ecken?
Dann fällt mein Blick in den Kleistereimer.
Das Gebräu sieht aus wie eine Horde Kugelfische in dicker Brühe.
Wie sind die denn da hineingelangt?
Kein Problem, Frau Ersfeld, das sind nur Klumpen. Anrühren hat nicht geklappt. Kann man aber benutzen.
Kann man sicher.
Nur für was?
Dezent weise ich auf diverse Buckel unter der frisch geklebten Rauhfaser hin.
Kein Problem, Frau Ersfeld, die ziehen sich beim Trocknen zusammen.
Nun war ich in Physik und Chemie wahrlich keine Leuchte,
Aber daß sich golfballgroße Beulen durch die Reduktion von Feuchtigkeit
in flache Ebenen verwandeln, halte ich dann doch für minder realistisch.
Zweifelnd starre ich dem jungen Mann auf sein ausuferndes
Handwerker-Dekolleté, bin aber zu ermattet, um eine Diskussion zu
eröffnen.
Kaum hat der Knabe die Wohnung verlassen, marschiere ich mit einer Nadel
ins Schlafzimmer und piekse die Eiterpickel an meinen Wänden auf.
Am Ende ist es glatt und ich kann mich auf meine Dienstreise vorbereiten.