Ablenkung vom Regalkaufdrama: viele kleine Schubladen lackieren… |
Besten am 1. Weihnachtsfeiertag macht: Regale aufbauen.
Beherzt reißen wir den ersten Karton auf.
“Puuuh, stinkt das”, ruft meine Freundin aus.
Ich rufe nichts aus.
Dazu müßte ich nochmal einatmen.
Meine Freundin schleppt die Bretter schnell in meine Küche.
Zum Entlüften.
Entlüften kann man besonders gut im Winter.
Man läßt einfach tagelang die Balkontür auf und heizt für 86 Millionen Euro in
den anderen Zimmern gegen die schleichende Kälte an.
Für den Preis könnte man sich auch ein Bio-Regal bauen lassen.
Ich wil aber ein weißes.
Und bio ist eben bio, also zu 99% naturfarben.
Der Rest hat Schnörkel.
Für die nächsten zwei Wochen ist meine Küche eine Art Fukushima für
Weicheier.
Bin ich länger als drei Atemzüge in dem lackverseuchten Raum,
explodiert meine Migräne.
Das wird eine heitere Woche.
Und ziemlich kalorienarm.
Eine Neumöbeldiät sozusagen.
Der Geruch wird zwar einen Hauch weniger, aber aus leidlicher Erfahrung
mit einem ähnlichen Kauf vor zehn Jahren weiß ich: ist ein bestimmter
chemischer Stoff in einem Möbelstück, werde ich auch Monate später noch
darauf reagieren.
Und ich habe Hunger.
Ich google und stelle fest, daß ich Leidensgenossen habe.
Ziemlich viele sogar.
Bei den meisten hören die Beschwerden auch nach Monaten nicht auf.
Sie berichten von Asthma, Migräne, Herzrasen, Schlafstörungen, Hautausschlägen,
Erschöpfungszuständen und vielem mehr.
Sie schreiben, daß das schwedische Möbelhaus unseres Vertrauens die
Möbel in so einem Fall kostenlos wieder abholt.
Was von Vorteil ist für jemanden ohne Auto.
Und daß der Möbelhausmensch am Telefon betont, es ausnahmsweise zu
machen.
Aus Kulanz.
Also rufe ich bei dem Möbelhaus an.
“Es hat sich bisher eigentlich noch niemand darüber beschwert.”, sagt der Möbelhausmann.
“Soso.”
Eine Woche später sind die Regale weg.
Vier weitere Tage später auch der üble Geruch.
So.
Nun bin ich wieder genau da, wo ich vor Wochen begonnen habe.
“Du bist aber auch empfindlich”, sagt mir ein Bekannter, als ich ihm
die Story erzähle.
Kurz bin ich versucht, mit meiner Faust zu testen, wie empfindlich er
ist.
Ja, ich bin empfindlich.
Aber ist es nicht am Ende auch ein Segen, wenn der Körper massiv auf
Gifte reagiert?
Machen wir uns doch nichts vor: alles, was derart chemisch ausdünstet,
ist pures Gift.
Und nur, weil manche es nach Monaten nicht mehr bemerken, bedeutet das
doch nicht, daß der Körper nicht fleißig Tag und Nacht Formaldehyte,
Kleber, Weichmacher und Lacke einatmet.
Warum erzählen mir viele geradezu stolz, daß sie sich an die
Ausdünstungen ihrer Möbel gewöhnt haben?
Das klingt für mich wie: Mein Mann verprügelt mich täglich.
Aber ich habe mich daran gewöhnt.
Genug moralisiert.
Ab ins Internet und nach anderen weißen Regalen gesucht.
Irgendwie muß man seine ja Freizeit füllen.
Als ich schon von weißen Regalen zu träumen beginne, finde ich eine
hübsche Variante aus Massivholz.
Mit dünner, weißer Lasur.
Massivholz toppt schon mal MDF.
Und Lasur könnte auch gutgehen.
Könnte, könnte…
Vor das Glück hat der liebe Gott den Konjunktiv gestellt.
Der Lieferant ist kaum die Treppe heruntergesprungen, als mir schon der
Nerv explodiert.
Und ich habe den Karton nicht einmal geöffnet.
Einen dermaßen beißenden Geruch habe ich bisher bei keinem neuen Produkt
erlebt!
Wieder stelle ich mit sanft erbebendem Hoffnungsschimmer stark riechende Bretter in meine Küche.
Die Neumöbeldiät startet von Neuem.
Bis ich nachts im Bett liege und merke, wie der Dunst unter den Türen
durch in mein Schlafzimmer zieht.
Und ich bin sooo müde.
Nein, ich steh nicht auf.
Nein, ich steh nicht auf.
Verdammt, in Gottes Namen, ja, ich steh auf.
Frau E. rennt also um 1.30 Uhr viermal hoch und viermal runter.
Im Schlafdress, mit Regalbrettern in der Hand und…
… ähem..
…Tampons in der Nase.
Ein großes Dankeschön geht hiermit an die Damenhygieneindustrie!
Aktion “Nächtlicher Stinkebrettertransport” ohne Migräne geschafft.
Was ist schon Würde?
Diesmal gibt es mehr Theater mit dem Umtausch.
Viele Mails gehen zwischen der Firma und mir hin und her.
“Das ist ganz normaler Lackgeruch”.
Wenn 80% aller Möbel mit Giftstoffen produziert werden, ist das
natürlich ganz normaler Lackgeruch.
Über Normalität will ich auch gar nicht diskutieren.
Es dauert Wochen, bis ich die stinkenden Teile aus dem Keller los bin.
Selbst kerngesunde Freunde erschrecken noch kurz vor der Abholung bei
dem Geruch.
Dann sind sie weg und ich bin?
Richtig!
Genau da, wo ich vor Monaten schon einmal stand.
Nur ein weeenig genervter.
Jannz, jannz wenig.