Fetisch Pflanze

Es gibt Menschen, die zählen die Tage bis Weihnachten.
Kleine Menschen vor allem.

Es gibt Menschen, die zählen die Tage bis zum Geburtstag.
Menschen unter 30 vor allem.

Und dann gibt es Menschen, die zählen die Tage bis zur alljährlichen Eröffnung des Gartencenters um die Ecke.
Ich.


Dann überkommt mich ein Rausch, der dem von Carrie Bradshaw beim Manolo Blahnik-Sale in nichts nachsteht.
Ich wandere von Tisch zu Tisch, schnuppere hier, bedenke dort und am Ende steht die Frage, wie ich meine zwei Gänseblümchen (und die siebzehn anderen Töpfchen und die zwei Säcke Erde und den Spezialdünger und die Pflanzenstecker und die Topfhalterungen für man weiß ja nie) nach Hause bekomme.

Es gibt kaum einen LAM*, der diese Orgien nicht live erlebt hat.
Selbst sehr vorübergehende LAMs haben sich schon mit 50-Liter-Säcken Erde ihre penibel gesaugten Firmenwagen versaut.

Kluge Männer wissen: “Happy wife, happy life”
Das gilt auch ohne Ehering.

“Brauchst Du so viel Erde?!”
Allein diese Frage!

Kopfschüttelnd verschwand ich wieder in den Untiefen der Gartencenter, während die LAMs gottergeben ihre Zeit am Handy verbrachten.

So sehr ich den Winter liebe (den WAHREN Winter, Düsseldorf! So einen mit Minustemperaturen und nicht einen verkappten Stockholmer Hochsommer), es fehlt etwas Essentielles: Blümchen.

Weiße Blümchen.
Und Blümchen in Altrosa, Mauve, Flieder, Lillifeepink, Puder, Magenta, Taupe.
(Für die männlichen Leser: hat alles mit Rosa zu tun).

Hortensien, Ranunkeln, Gänseblümchen, Vinca minor.
Und Vergißmeinnicht.
Das darf sogar hellblau sein.

Dazu eine Birke und ein Ahorn-Baum.
Wie kommen die auf einen Balkon?
Sie waren plötzlich da.

Erst als kleines, grünes Unkraut.
Ich habe ein Herz für kleines, grünes Unkraut.

Was an wilde Blumenwiesen in Schweden erinnert, öffnet mein Gärtnerinnenherz.
Also hegte ich das kleine Unkraut.
Und keine acht Jahre später, sind die beiden bereits über zwei Meter hoch.

Bis vor zwei Jahren, als ich noch so was wie Energie versprühte, war mein Balkon ein Urwald.
Sehr zum Leidwesen meiner lieben Nachbarn, die sich während meiner Abwesenheiten Bandscheibenschäden durch Gießkannenwuchten zuzogen.

40 Liter waren zu Urwaldzeiten im Sommer täglich zu gießen.
Dazu düngen, zupfen, umtopfen, rearrangieren.
Ein Traum!
Für mich, nicht für meine Nachbarn.

Es gibt nichts auf der Welt, das mich so sehr entspannt, wie Pflanzen zu pflegen.
Ähem.. doch..(Ist schon 23 Uhr? 😉 )

Pflanzen pflegen läßt sich aber rund um die Uhr veranstalten.
Und man muß dafür nicht so einen initialen Aufwand betreiben.
Pflanzen ist es wurscht, ob man im Schlafanzug oder Minirock vor ihnen steht.

Meine Pflanzen sind auch schuld, daß ich keine weißen Oberteile trage.
Kurz bevor ich das Haus verlasse, sehe ich immer noch etwas auf dem Balkon, das ich mal eben fix richten möchte.
Dann ist Schluß mit Weiß.

Und weil es nichts Schöneres gibt, als mit den Händen in feuchtkalter Erde herumzuwühlen, trage ich bisweilen verschämt bürstenresistente Trauerränder unter den Fingernägeln.

Meine Blumen haben mich auch gelehrt, daß wir alle eher partielle Umsorgungstalente besitzen.
Bevor ich das erste mal länger verreiste, engagierte ich liebe Menschen, die hingebungsvoll mit Kindern und Hunden umgehen.

Als ich wiederkam, standen einige Blumen knietief im Wasser.
Seit Wochen.
Jeder hatte es gut gemeint und noch einen Liter nachgegossen.

Mit Tränen in den Augen versuchte ich mein Einblatt zu retten, das mich seit zehn Jahren treulich begleitet hatte.
Ich fuhr mit ihm in die Notaufnahme.
Die Frau vom Gartencenter schüttelte nur den Kopf: “Datt is jetzt vonner Wurzel her ersoffen, da könnse nix mehr maache..”
“Nix??!”
“Nix.”

Ich überlegte, ob die Hundebesitzer ihre vierbeinigen Freunde zum Trinken auch in der vollen  Badewanne untertauchen und mit einem Stein beschweren.

So ging ich mit hängenden Schultern nach Hause und dachte nach.
Über Hunde und Kinder und andere Pflegeziele.

Wer es liebt, Kinder zu umsorgen, packt nicht zwangsläufig ein Haustier.
Wer seinen Hund auf Händen trägt, muß nicht gleichermaßen seine Primel am Leben erhalten können.

Meine Sparte ist klar: Pflanzen,
Die hopsen einem nicht morgens um sieben ins Gesicht und man muß ihre warmen Häufchen nicht in der Jackentasche spazierentragen.

Das überlasse ich allen, die dafür ein Händchen haben.
Bei mir existiert nur ein Daumen.
Und der ist Grün.

Bei meiner lieben Freundin Britta ist es genau umgekehrt: Sie kann alles – außer Grünpflanzen.
Wie immer ergänzen sich unsere Begabungen perfekt.
Vielleicht sollten wir heiraten.
Ich beantrage das mal bei ihrem Freund..;-)

* Für neue Leser: ein LAM ist ein Lebensabschnittsmann.