Eine Ballrobe namens “njüüüt”

Ende Januar 2008.
Meine Nerven liegen blank.

Vor wenigen Tagen fand ich die Idee inspirierend, einen tanzpartnerinlosen Herren spontan zum Wiener Opernball zu begleiten.
In einer Woche.
Wienerinnen bereiten sich ein Jahr darauf vor.

Danach fiel mir etwas nicht Unwesentliches ein. Daß ich mein Ballkleid kürzlich bei ebay für einen Preis vertickt hatte, der mir jetzt noch die Tränen in die Augen treibt. Jetzt habe ich noch mehr Tränen in den Augen. Frauen, deren Beinlänge auch 115cm mißt, wissen warum.

Nun finde ich Einkaufen so toll wie eine proktologische Untersuchung, was den Suchprozeß nicht unwesentlich erschwert.

Mit einer Liste aus den Gelben Seiten starte ich ein prozeßoptimiertes Shoppen.

Rein ins erste Geschäft, gefühlte 6000 Kleider anprobieren.
Alle zu kurz.
Winterklamotten wieder über einander schichten. Und raus.
Nächster Laden, selber Prozeß.
Nach dem neunten Laden beginne ich, nervös zu werden.

Im elften probiere ich ein kanariengelbes Kleid an, nur weil es lang aussieht.

Im 13. stehe ich in einem Brautkleid vor dem Spiegel und überlege, ob man Weiß auf einem Ball tragen kann, wenn man weder auf dem Parkett noch in der Liebe Debütantin ist.
Ich entscheide mich dagegen.

Der 26. Laden gastiert auf der Kö und trägt „Couture“ im Namen.
Couture kostet dann mein Monatsgehalt.
Brutto.

Am Ende stehe ich vor einem Geschäft, das ich nur aus der BUNTEn kenne.
Wie eine Oase der Glückseligkeit leuchtet es im Halbdunkel.

Mit der Gleichgültigkeit der Erschöpften trabe ich unbeeindruckt vom Prunk ins Service-Paradies.

Ein perfekt manikürter Herr geleitet mich in die untere Etage.
Hier hängen ausgesuchte Ball-Kostbarkeiten.

„Oh, neiheiheihein“, sagt er, als ich ein schlichtes Kleid herausziehe.
Entgeistert über so wenig Fashion-Verstand schüttelt er den Kopf.
Auf seiner Stirn steht: „Warum bekomme immer ich diese Trampel ab?“

Mit geübtem Griff zieht er ein Ungetüm aus Volants von der Stange.
„DAS“, sagt er.
Ich schweige.

Das Kleid hat die Farbe von Erbrochenem.
„ „Njüüüüüt““, sagt der Berater.
„Wie nackt“, setzt er nach, als er mein ausdrucksloses Gesicht sieht.

Wenn ich aussehen wollte wie nackt, würde ich nichts anziehen.

Aber, um das zu diskutieren, fehlt mir gerade der Nerv.
Ich habe noch 52 Minuten, um ein Ballkleid zu finden.

„Das ist bestimmt zu kurz.“, sage ich.
„Nein.“
„Doch.“
„Nein.“

Wir starren uns an.
Der ältere Herr auf dem Parkplatz für Kreditkartenträger (Sofa) hält die Luft an.

Ich gebe auf und verschwinde mit dem Ungetüm in der Kabine.
Als ich mich wieder herausschleppe, klatscht der Berater entzückt in die Hände.
„Wie Gwyneth Paltrow.“

Wie ein reanimiertes Ebola-Opfer, denke ich.
Der ältere Herr grinst und schweigt.

„Nein, wie Ihnen das steht! Bei Ihrer Figur.“

Der Typ bekommt fast einen Höhepunkt.
Wenigstens einer glücklich heute.

„Das kann wirklich nicht jede tragen.“

Nein, das kann wirklich nicht jede tragen.
Höchstens Gwyneth Paltrow.
Aber die sähe auch im Müllsack entzückend aus.

Ausgerechnet DER Fetzen ist lang genug.

Ich taste dezent nach dem Preisschild.
Schnappatmung setzt ein.

Das „njüüte“e Etwas ist doppelt so teuer wie der Oldtimer, dem ich zehn Jahre in treuer Liebe verbunden war.
Mit dem konnte ich fahren.
„Njüüt“ kann ich allenfalls ausziehen und dann wäre ich richtig „njüüt“.

„Versace“, erklärt der Geschniegelte.
„Ja dann“, sage ich.

Unter unverständlichem Gemurmel flüchte ich in meine Umkleide.
Und muß feststellen: Das Kleid sitzt wie in Fischer-Dübel.

Beherzt greife ich die 674 Stofflagen am Saum und hebe sie hoch.
An der Taille ist Schluß.
Das Ding hat nicht nur die Farbe eines Kondoms, es haftet auch so.

Ich transpiriere sehr undamenhaft.
Haftet meine Versicherung auch für Kleiderausziehunfälle?

Vielleicht, wenn ich mich vorbeuge und die Arme nach unten strecke?
Dann könnte alles über meinen Kopf rutschen.
Gesagt, getan.

Mein Hintern drückt den Vorhang nach außen.
In meinen Ohren rauscht das Blut.
Die Stofflawine erbricht sich über mich.

Eine Stäbchenpaillette bohrt in mein rechtes Auge.
Dann ist Schluß.
Ich seh nix mehr.
Mir wird schlecht.

„Darf ich Ihnen das Kleid schon abnehmen?“, ertönt es von schräg oben.
Wenn er jetzt den Vorhang aufreißt, muß ich aus Düsseldorf wegziehen.

Erwähnte ich, daß ich heute eine knusselige Wollstrumpfhose mit Riß an despektierlicher Stelle trage?

„Nein!“, kreische ich.
Das klang zu hysterisch.

„Danke, es geht schon“, flöte ich durch den Tüllberg und beginne hektisch auf und ab zu hüpfen.
Versuchen Sie mal, in der Haltung eines umgedrehten Vs auf und ab zu hüpfen.
Da sind Sie froh, wenn der Stoff, der Ihnen die Sicht nimmt, schon vorher die Farbe von Erbrochenem hatte.

Endlich.
Ein Zenter Versace knüllt auf dem Boden.
Ich bin frei!

Erleichtert ziehe ich mir zum 37. Mal an diesem Tag meine Kleider an.

„Ihnen gefiel ja nichts“, sagt der Berater säuerlich, bevor er die Tür hinter mir schließt.
So kann man es auch betrachten.