Grund 3, nicht stante pede nach Stockholm auszuwandern und ein leises “Hejdå!”

+++ Nichtauswanderungsgrund Nr. 3 +++ Abschied +++

Man
soll aufhören, wenn es am Schönsten ist.
Dann ist es allerdings
auch besonders schwierig.
Denn über Stockholm könnte ich noch
unzählige Texte schreiben. 

Nur möchte ich nicht, daß ein
Leser im Jahr 2015 gelangweilt zu seiner Gattin sagt:
Wann hat
die Tante eigentlich mit dieser Serie angefangen?

Deshalb fix
noch Grund Nr. 3, bevor der tränenreiche Abschied naht.
Neben
dem Wohnungsmarkt und der Distanziertheit hindert mich die
monatelange Dunkelheit daran, juchzend meine Umzugskisten zu packen.

Vor einem Jahrzehnt überlegte ich schon einmal,
überzusiedeln.
Dann war ich im Winter da.

Um 11 Uhr
wurde es draußen dämmerig hell.
Um 15 Uhr war es schwarz.

Dazwischen eine Stimmung wie 100 Tage Regenwetter.

Nach
einer Woche konnte ich mich kaum noch überzeugen, das Sofa zu
verlassen.
Ich lag eingemummelt in einer kuscheligen Decke und
schaute tragische Familienfilme.

Als ich mich doch einmal
hinaus trieb, ging ich verloren.
Ich fuhr nämlich in das Museum
“Prins
Eugens Waldemarsudde”
.

Das kleine Schloß liegt fernab von Gut und Böse im Süden
der Insel Djurgarden.

Da ich morgens nicht zu den Helden des
Tages gehöre, kam ich erst mittags dort an.
Begleitet vom
sonoren Knirschen des Holzbodens wanderte ich durch die Räume.

Wie
schön müßte es sein, hier zu leben!
Nur das Rauschen der Bäume
begleitet von Vogelgezwitscher hören und versonnen Romane lesen oder
schreiben.

Plötzlich war es stockfinster.
Macht doch
nichts, dachte ich mir.

Macht doch was, stellte ich fest, als
ich vor die Tür trat.
Ich sah nämlich die Hand vor meinen Augen
nicht mehr.

Ob die Wegbeleuchtung ausgefallen war oder nie
existierte, ich weiß es nicht.
Zumindest tastete ich mich rund
30 Minuten in absoluter Dunkelheit durch die wilde Parklandschaft.

Nur mein Atem war in der Totenstille zu hören.
Und das
Knirschen des Schnees unter meinen Stiefeln.

Irgendwann sah
ich Lichter und fand einen Bus zurück in die Stadt.
Zu dem
Zeitpunkt war ich bereits schockgefrostet.

Als ich Stunden
später zuhause wieder Betriebstemperatur erreicht hatte, ging ich
ernsthaft in mich.
Und beschloß, für monatelange Dunkelheit
nicht geeignet zu sein.

Die lange Kälte würde mir nichts
ausmachen, die trübe Düsternis aber schon.

Schon bei
Nieselregen staunt man, wie trostlos die Beauty des Nordens bisweilen
sein kann.
Dann steigt ringsherum leichter Nebel vom Wasser auf
und verbindet sich mit dem Mausgrau des wasserdurchtränkten Himmels.

Man braucht dann viel Phantasie, um sich an die Farbenpracht
in der Abendsonne zu erinnern.

Und weil ich keinen Alkohol
trinke, bliebe mir nur Schokolade, um den Frust zu kompensieren.
Wo
das endete, mag ich mir nicht vorstellen.

Für eine
Besuchswoche finde ich Stockholm auch im Winter zauberhaft!

Im
goldenen Licht der Gaslaternen durch schulterbreite Gassen der
Altstadt streifen.
In fremder Leute Wohnungen spinzen,
Stuckdecken, Lüster und modernes Mobiliar bewundern.

Eine
Caféhaustür öffnen, die Freundin lachen sehen und sich neben den
beschlagenen Fenstern bei Zimt-Kaffee und Möhrenkuchen die
Neuigkeiten des Tages erzählen, während unterm Tisch langsam die
Zehenspitzen in den Winterstiefeln wieder auftauen.
Vorsichtig
über das eisbedeckte Kopfsteinpflaster zur U-Bahn balancieren.

All
dies hat seinen Reiz.
Eine Woche, vielleicht auch mehrere.
Aber
nicht sechs oder sieben Monate.

Meine Liebe zu der
kapriziösen Schönen wird bleiben.
Seit der Flieger 1992 zum
ersten Mal mit mir an Bord in Arlanda aufsetzte, fühle ich mich hier
zuhause.

Ab dem Öffnen der Flugzeugtür spreche ich
Schwedisch.
Jeder hat so seinen Spleen.

Von der
leidenschaftlichen Anfangszeit haben wir uns über die ein oder
andere Krise zu einer guten Lebensgemeinschaft entwickelt.

Wir
hatten Besuchs-Quickies und lange Kuschelphasen.
Und ab und an
haben wir uns auch fast ein wenig aus den Augen verloren.

Andere
Welten wollten erobert werden.
Das war ich meinem
Lufthansa-Ausweis schuldig.

Himmel (Östermalm) und Hölle
(Alby) waren meine Stockholmer Wohnorte, 2011 auch das schöne
Kungsholmen.

Nach rund 15 Besuchen weiß ich, auf was ich
mich freuen darf und was ich ignorieren sollte.
Wie in jeder
anderen Beziehung auch.

Und während ich mich im
schwül-warmen Düsseldorfer September mit dröhnendem Kopf in meiner
Wohnung verkrieche, denke ich voller Sehnsucht an die frische
Schärenluft, an den blauen Schwedenhimmel, an das sanfte Strahlen
der Altbauten im Licht der untergehenden Sonne, an laue Sommernächte
auf trendigen Bar-Terrassen und nächtliche Spaziergänge durch
“mein” Kungsholmen.

Und freue mich von ganzem
Herzen auf meinen nächsten Sommer in Stockholm! 

© 2011 Texte und Bilder von Pia Ersfeld