Hier möchte ich leben.
Im Überschwang erhöhter Sauerstoffzufuhr kritzele ich Baupläne.
Meine Freundin schaut ein wenig skeptisch.
“Tätst dea Stadt nit vermisse?”
“I wo.”
Dann zieht sich der Himmel zu.
Ist ja schon ein bißchen unheimlich, wenn der Nebel so hinab wabert.
Leichentuchartige Stille ummantelt das Hotel.
Am nächsten Morgen: Regen.
Die Welt ist grau und trist.
Die Alm erst recht.
Am übernächsten Morgen: mehr Regen.
Mir ist auch schon etwas trist.
Am dritten Morgen: unendlich viel Regen.
Ich werfe den Bauplan in den Müll und denke seufzend an Düsseldorf.
Allein unter Paaren schmachten meine Freundin und ich unserer balsamicoverzierten Menüteller an.
Die allabendlichen fünf Gänge schmiegen sich sanft um meine Hüften.
Da hocken sie schlecht, wie ich bei unserem Regenwetteralternativprogramm feststelle.
Wassermassen spülen uns in ein Trachtengeschäft.
Prinzipiell gibt es für mich kaum Schlimmeres als Umkleidekabinen.
Nur nicht am dritten Tag Dauerregen.
Zur Gaudi meiner dirndl-erfahrenen Münchnerin verschwinde ich mit dem ersten Objekt in der Umkleide.
“Das geht nicht zu.”
“A freili”, sagt eine fremde Frauenstimme.
Jetzt, wo unten alles abgequetscht ist, siehts oben arg nach Flachland aus.
“Moi.” sagt sie.
“Des wirftama Faltn.”
Sie zupft an meinem Rücken herum.
“Desisvüazugroaß!”
Zu gross?!
Meine Freundin operiert mich aus dem Mieder und ich beschließe, heute abend vier von den fünf Gängen zu streichen.
Vorher aber findet das Highlight meines Urlaubs statt.
Ich darf etwas, das ich immer schon mal ausprobieren wollte.
TOP1 auf der “Einmal im Leben möchte ich…”-Liste.
Tarää……
MELKEN.
Als ich der Hotelchefin meinen Wunsch vortrage, schaut sie mich an, als wäre ich nicht bei Trost.
Aber was tut man nicht alles für Gäste.
Meine Freundin freut sich enorm, mich ins Tal zu einem dreckerten Bauernhof zu gurken.
Gestern hat sie mir von ihrem Spitznamen erzählt: “etepetete”.
Des wüarda froid…
Frohgemut stapfe ich zum Stall.
Ein fescher Kerl im Blaumann schaut heraus.
Das ist also der Jungbauer.
Nach gefühlten 13 Staffeln “Bauer sucht Frau” hat mein Bild des Landmannes etwas Schaden genommen.
Den hier würde ich nicht vom Melkschemel stoßen.
Er läßt mich zwischen zwei Kühe krabbeln und hält mir de(re)n dreckigen Schwanz vom Leib.
Höflich ist er auch noch.
Dann starte ich den ersten Versuch.
Jetzt zahlt es sich aus, die Sendung mit der Maus verfolgt zu haben.
Schwups: Milch in Sicht.
Locker aus dem Handgelenk melke ich die erste Kuh für die Melkmaschine vor.
“Darf ich noch eine?”
Ich darf.
Nr. 2 und Nr. 3 sind zwar etwas anders gebaut (wir haben ja auch keinen Norm-Busen), aber es klappt.
“Ein Naturtalent”, strahlt er mich an.
Ich spüre ein fettes Grinsen meiner Freundin im Rücken und schweige.
Bei Nr. 4 stockt meine Erfolgssträhne.
Jetzt keine Blöße geben.
Beherzt drücke ich Mittelfinger, Ringfinger und kleinen Finger ab.
Hätte ich den Mund offen gehabt, wäre es ein gelungener Stunt geworden.
Hatte ich aber nicht.
So tropft mir der Kuhinhalt von der Nase.
Honi soit qui mal y pense.
Das Problem sitzt immer vor dem Euter.
Nachdem mir die Nachbarkuh noch in hohem Bogen in den Rücken gekäckelt hat, ich mit einer Ziege, einer Katze und zwei Kälbern gekuschelt habe, bin ich glücklich.
Meine Freundin nicht.
“Mei, wie machen wir das jetzt mit dem Auto?”
Sie schaut mich an, zieht die Nase kraus und macht eine gefährliche Pause.
Klingt, als sollte ich nach Hause laufen.
Das bißchen Dreck.
Das findet sie nicht.
Auf einer bundeslandgroßen Plastikfolie gebettet darf ich doch mitfahren.
Sie atmet hörbar aus dem offenen Fenster raus.
Als ich im Bad mit einer Kuchengabel vor dem WC knie, um Kuhrückstände aus dem filigranen Schuhprofil zu kratzen, ahne ich, warum Bauern Gummistiefel tragen.
Kleiner Tip: Asics sind für Kuhstallbegehungen ungeeignet.
Ich weiß auch nicht so genau, warum die Dame vom Nachbartisch die Sauna verließ, nachdem ich einige Minuten drin lag.
Es sah aus, als würde sie die Nase rümpfen.
Immer diese Städter…
Und meine Freundin?
Sie überlegt vermutlich mit latenter Unruhe, was sonst noch auf meiner Lebens-Liste steht.