Entspannt reisen (1)


Wer mich kennt, weiß: keine Reise ohne
Dramen.
Nun komme ich langsam in ein Alter, in
dem ich einem Problem gerne mal Geld hinterherwerfe.
Mit einer Taxifahrt zum Beispiel.
Selbige erspart mir eine Nacht voller
Grübeln, ob der Fahrstuhl beim Umsteigen von Straßen- auf S-Bahn
ausnahmsweise mal fährt.
Daß die Taxifahrt fast so viel kostet,
wie die einfache Strecke nach Mallorca, versuche ich geflissentlich
zu ignorieren.

Pünktlich vor meiner alljährlichen
Karnevalsflucht streckt mich eine fiese Erkältung nieder.
Ich habe natürlich keine
Reiserücktrittskostenversicherung.
Taumelnd werfe ich jeden Tag das eine
oder andere in den Koffer.
Gleichzeitig richte ich mich darauf
ein, nicht mal den Weg aus dem Haus zu schaffen und rechne aus, wie
lange mein Patenkind in Peru von den Kosten der vergeigten Reise ein fröhliches Leben hätte führen können.
Samstag abend schaffe ich es doch noch, das
Kofferwerk zu vollenden.
Sonntag morgen helfen viel kaltes
Wasser und heißes Koffein, hinter dem schleppenden Taxifahrer die
Treppe hinunter zu wanken.
Vielleicht hätte ich den Koffer aus dem Fenster werfen und mich tragen lassen sollen.
Gefühlte zehn Stunden vor dem Abflug
erreichen wir pannenfrei den Flughafen.
Wie entspannend.
Ich werde in Ruhe viele unnötige
Zeitschriften auswählen.
Ich werde genüßlich einen Grünen Tee
von Ronnefeldt trinken.
Ich werde die Passagiere am Gate
beobachten und hinterher fiese Sachen über sie schreiben.
Schlendernd bewege ich mich auf den Check-In von Air
Berlin zu.
Um 10 Uhr gähnend leer.
Die meisten Touristen fliegen ja um 7.
MORGENS.
Würde ich morgens um 7 losfliegen,
könnte ich mich am Ziel gleich den restlichen Tag tot ins Bett
legen.
Was hätte ich gewonnen?
Noch mehr Stunden auf exquisiten
Hotel-Matratzen.
Vier Schalter.
Ich marschiere geradeaus.
Schlechte Wahl.
Ganz schlechte Wahl.
Die drei Mitarbeiter zur Linken lächeln
freundlich.
Geradeaus wird nicht gelächelt.
Nicht mal mit viel Interpretation.
“Hier nicht mehr!”
Erleichtert will ich abdrehen.
“In Gottes Namen, bleiben Sie hier.”
Das kann ja heiter werden.
Ich nenne der Mittfünfzigerin die
Buchungsnummer.
„Damit kann ich nichts anfangen.“
„Kann man damit nicht die anderen
Daten aufrufen?“
„Ich brauche die Ticketnummer.“,
antwortet sie ungerührt.
„Und jetzt?“
„Können Sie nicht fliegen.“
OMMMM.
„Mit der Buchungsnummer und meinem
Namen muß die Ticketnummer doch verknüpft sein.“
„Ich brauche die Ticketnummer.“
Wir schauen uns schweigend an.
Ich kann länger.
Sie nimmt den Hörer zur Hand,
telefoniert mit dem Backoffice und hat nach zwei Sekunden die
Tickenummer.
„Koffer?“
Ich stelle mein Rimowa-Schätzchen aufs
Band.
Aus lauter Angst, jemals am Check-In
auf dem Boden zu liegen und meinen millimetergenau einsortierten Kram
umpacken zu müssen, habe ich 3kg zu wenig drin.
Fein.
„Handgepäck?“
„Ja.“
„Aufs Band.“
„Auch?“
Offenbar auch.
„Vier Kilo zuviel.“
„Wie?“
„Sechs Kilo Maximum.“
Ups.
Ich dachte acht.
Macht Sinn, ab und zu die Bestimmungen
von Fremd-Carriern zu lesen.
„Sie können ja umpacken.“
Ich kann mir auch in den Kopf schießen.
OK, ich packe um.
Drei Meter entfernt liege ich also mit zwei geöffneten Koffern auf dem Boden.
Warum heizen sie die Flughäfen
eigentlich immer auf 35 Grad?
Ich packe hin und her, drücke, hüpfe
auf dem Koffer rum und schleppe alles zurück auf die Waage.
Die Dame beobachtet mich, ohne eine
Miene zu verziehen.
Das Zwischenergebnis: Koffer immernoch zu wenig, Trolley immernoch zu viel.
„Fliegt nicht
beides im gleichen Flugzeug?“
Doofer Scherz, ich weiß.
Daß das Gesamtgewicht des Gepäcks
streng limitiert sein muß, finde ich logisch.
Würde jeder Passagier nur zwei Kilogramm zu viel
mitnehmen, wären dies pro Maschine und Strecke ca. 200-900kg.
Bei 1000 Strecken am Tag ist man
schnell bei knapp einer Million Kilos.
Und rechnet man die eine Million Extra-Kilos auf die geflogenen Meilen hoch, wäre man rasant bei utopisch hohen Summen.

Immer wieder merkwürdig, daß Autofahrer, die sogar ihr Abschleppseil aus dem Kofferraum entfernen, um Benzin zu sparen, am Check-In über mehrere Kilos debattieren.

Knapp ein Kilogramm wäre ich los, wenn
ich hier dumm nicht rumpacken müßte, sondern Zeit hätte, zum
Briefkasten zu gehen.
Das eine Kilogramm ist nämlich ein
Geschenk für eine Freundin, das ich in aller Ruhe am Flughafen
einwerfen wollte, weil ich doch so viel Zeit gehabt HÄTTE.
Nun haut mir das eine Kilogramm die
ganze Statistik nach unten.
Gottergeben breite ich meinen Hausstand
wieder auf dem Boden aus.
Beim wilden Herumräumen fallen mir
fiese rote Flecken auf meiner eingepackten Kleidung auf.
Und es werden immer mehr.
Ich habe mir an der Kofferschnalle die
Hand aufgerissen.
Der Schnitt suppt mir fröhlich mein
Gepäck voll.
Wo die Pflaster sind, weiß ich dank
meiner Umräumaktionen nicht mehr.
Außerdem versagt gerade mein
erkältungsgequälter Kreislauf und ich sehe Sternchen.
Jetzt kann ich nur noch nach Gefühl
packen.
Also drücke ich ein Taschentuch auf
die Wunde.
Packt sich gut mit einer Hand.
Vor allem einen Rimowa mit drei
Schlössern und zu viel Inhalt bekommt man hervorragend mit einer
Hand geschlossen.
Nämlich gar nicht.
Ich imitiere Magdalena Brzeska und
vollführe eine Art Bodenturnen für Arme.
Ein Mitarbeiter hat Erbarmen und setzt
sich mit auf den Koffer.
„Jetzt müssen Sie sich aber beeilen,
sonst kommen Sie nicht mehr mit“, sagt die Check-In-Dame
säuerlich.
Ach was.
Wo ich doch so gerne eine weitere halbe
Stunde vor aller Augen Reisegepäck-Gymnastik gemacht hätte.

>> Ob ich jemals auf Mallorca angekommen bin, steht hier in Teil 2..