hat in sieben Tagen die ganze Welt erschaffen.
Wie er das
angestellt hat, ohne zu kollabieren, ist mir ein Rätsel.
Ich
mußte nur mein kleines Halbauswanderinnenleben auf die Beine stellen
und bin schon fix und fertig.
Am 7. Tage ruhte er.
Ich
schon am 6.
In meinen ersten Tagen habe ich nicht nur die
Namen von gefühlten 3000 Lebensmittelprodukten gelesen, endlose
Gespräche über die Dezibel-Abdichtung von Ohrenstöpseln in
Apotheken geführt, sondern auch sämtliche Angebote von
Telefonkartenanbietern samt AGBs, die Nahverkehrszonenregeln, die
Fahrkartensystematik sowie die Bedienungsanleitungen für
Waschmaschine, Trockner und Trockenschrank studiert.
Anna
Karenina auf Ex zu lesen war erquicklicher.
Aber ich sehe es
positiv: so wächst mein verfügbares Vokabular.
Man weiß ja
nie, wann man das Wort für Trockenschrankschließvorrichtung sonst
noch einsetzen kann.
All die vielen Handgriffe, die man
zuhause geistesabwesend während eines Telefonats erledigt, erfordern
im Ausland durch Sprache und andere Technik Konzentration.
Aber
nun ist meine Welt endlich funktionstüchtig!
Die schwedische
SIM-Karte bimmelt, die Monatskarte halte ich im Vorbeigehen locker
aus dem Handgelenk gegen den Chipleser, die wichtigsten
Bushaltestellen sind bekannt und auch mein gesundes
Gemüse-Getreide-Mittagessen stelle ich mit dem einen verwertbaren
Kochtopf auf die Beine.
Nun weiß ich, wie man auf „Eintopf“
kam.
Zuhause werde ich sicherlich erst mal Monate alles getrennt
essen.
Jetzt aber geht’s ans Socialising.
In den
letzten Wochen hatte ich bereits via Couchsurfing
verschiedene Kontakte aufgebaut.
Gott sei Dank, kann man dort
auch eine Altersgrenze eingeben.
Mit 25-jährigen über ihre
teuren Alkoholabstürze zu reden, amüsiert mich weniger.
Als
erstes treffe ich eine nette Schwedin meines Alters.
Es ist immer
wieder aufregend, auf unbekanntem Terrain in ein unbekanntes Lokal zu
gehen, um dort mit einer Unbekannten zu essen.
Wie ein
Überraschungsei: Mal genial, mal OK, mal eine mittlere Katastrophe.
Heute sehr, sehr nett.
Wir plaudern über das Leben im
Allgemein und Besonderen.
Danach ist mein kleiner
Einsamkeitskoller, der mich in den ersten Tagen kurz ansprang,
überwunden.
Und einen Lieblings-Inder habe ich hiermit auch
gefunden.
Abends geht’s gleich weiter:
Ich treffe eine
mir bis dato unbekannte sympathische Schweizerin und gehe mit ihr
zusammen zu einem Expat-Treffen, das ich mir bereits in Deutschland
aus dem Netz gefischt hatte.
Auf Meetup.com
sind Expat-Gruppen aller Länder zu finden.
Heute steht Afterwork
im chicen Östermalm auf dem Programm.
Das Lokal heißt
Strandbryggan
und
liegt auf einem Ponton direkt an der Brücke zur Insel Djurgarden.
Eine wunderbare Location.
Unsere Gruppe ist schon vom Kai
aus zu erkennen: eine bunte Mischung verschiedener Kulturen.
Drumherum geschniegelte Deckhaar-lang-gegelt-Träger mit
wunderhübschen Frauen, die für die Auswahl ihrer homöopathischen
Bekleidung allerdings sicher fünfmal mehr Zeit verwendet haben, als
ich für meine gesamte Wohnungssuche.
Spätestens nach
Durchqueren der Lounge weiß ich: die schwedische Plastische
Chirurgie ist zu vielem fähig.
Aber so ist Östermalm:
hervorragend restaurierte Altbauten, hervorragend aufgebaute
Vorbauten.
An dem Abend rede ich mit einem Inder, einer
Amerikanerin, einer Engländerin, einem Äthiopier, einem Italiener,
einem Neuseeländer und mit zwei Deutschen.
Nur Schwedisch, das
spreche ich heute nicht.
Nach zwei Stunden überfällt mich
der Hunger.
Mir ist klar, daß mich ein „middag“, wie das
Abendessen auf Schwedisch konsequenterweise heißt, hier vermutlich
einen Monatslohn kosten wird.
Also wähle ich ein kleines
Stückchen Möhrenkuchen.
Besser viermal Haps, als ganz
gehungert.
Außerdem verbirgt morotskaka pro Kubikzentimeter
sowieso 43.000 Kalorien.
Das müßte erst mal reichen.
45
kronor, strahlt die Dame an der Bar mich an.
Ich schaue auf das
kleine Quadrat und dann auf sie.
Seufzend zahle ich umgerechnet
5,- Euro.
Und denke an die gute alte Mischkalkulation.
Meine
liebe Banker-Freundin hat mich diese Denkweise vor einigen Jahren
erfolgreich gelehrt.
Damals regte ich mich darüber auf, daß
ich für die Flughafen-An- und Abreise mit dem Taxi genauso viel
bezahle wie für den kompletten Flug in das entfernte Land.
Aber
wenn Du das in Summe rechnest, sagte sie, fliegst Du immernoch
billiger, als die meisten Menschen.
Danke, Anke!
Damit
rettest Du mir auch an diesem lauen Sommerabend wieder das
Gemütsleben.
Denn während ich noch ein wenig zerknirscht
vor mich hin kaue, fällt mir ein, daß ich die ganze Zeit kostenlos
trinke.
In Schweden gibt es nämlich die segensreiche
Erfindung, daß man Kranwasser immer umsonst erhält.
Man kann es
meist sogar selbst an einem speziellen Tisch zapfen.
Bei rund
vier Litern, die ich als passionierte Wassertrinkerin täglich
trinke, eine Erfindung, die sich amortisiert.
Ich blicke von
der Lounge über das Wasser zur Stadt.
Tief liegt die
Abendsonne auf den Hausdächern und läßt ihren orangenen
Lichtstrahl über das Wasser zu uns hinüber gleiten.
Gemütlich
vor sich hin schaukelnde Boote, eine frische Brise und ich
mittendrin.
Zum ersten Mal seit meinem Umzug bekomme ich eine
Ahnung davon, wie schön diese Zeit hier noch werden kann.
Ummantelt
vom Stimmengewirr verschiedener Sprachen fühle ich geborgen.
Mit
einem Lächeln verabschiede ich mich vor der Zeit und genieße das
zuversichtliche Klappern meiner Schuhe auf dem nächtlichen
Strandvägen.
Stockholm, schönste Stadt der Welt, nun bin
ich wirklich bei Dir.
© 2011 Texte und Bilder von Pia Ersfeld